Im Beruf einer Kartoffelzüchterin hat man eigentlich mit Virusforschung nichts zu tun, er zwingt einen aber zur Beschäftigung mit Viruskrankheiten der verschiedensten Art, da ein wichtiger Bestandteil der Züchtungsarbeit war, virusresistente, gesunde Saatknollen hervorzubringen. Vorbildung war ein Botanikstudium an der Uni Leipzig (Doktorarbeit mit zellphysiologischem Thema) und ein Volontariat am KWI für Züchtungsforschung in Müncheberg. Eine sehr anregende Zeit. Die eigene Arbeit bestand in Wuchsstofftests an Rebenstecklingen. Die erste Stellung als praktische Pflanzenzüchterin fand sich bei der Pommerschen Saatzucht in Dramburg. Nach dem Kriege folgte eine Stellung als Zuchtleiterin bei der Stader Saatzucht, damals eine Genossenschaft von Kleinbauern, die vom Saatbau der Kartoffel lebte. Die eingeführten Sorten waren in Hinterpommern gezüchtet und wegen ihrer Virusanfälligkeit dem Anbau im Westen nicht gewachsen (Anm.: wegen anderer Witterungsverhältnissen, insbesondere anderen Temperaturen).
Die Erhaltungszucht stand im Mittelpunkt der Stader - Arbeit, denn nur virusfreies Saatgut durfte gehandelt werden.
Zur Saatbewertung war damals die herbstliche Arbeit mit Augenstecklingen eine sichere Methode. Sie war aber leider so aufwendig, daß nur ein Bruchteil der erforderlichen Proben getestet werden konnte.
Neue, weniger arbeitsintensive Nachweismethoden wurden gebraucht. Eingeführt hat sich ein Verfahren der BBA (Biologische Bundesanstalt). An im Herbst gezogenen grünen Trieben wird der Virusbefall mit Antikörpern dokumentiert. Einer Botanikerin mit Ausbildung in Zellphysiologie schien es effektiver, den Virusbefall schon an virös veränderten Zellen der Saatknolle zu suchen. Dies erwies sich letztendlich praktikabler als die Arbeit mit Antikörpern, denn es erlaubt die Verwendung von Phloemzellen der Saatknollen, macht das Ziehen von grünen Trieben aus den Knollen überflüssig und macht sogar bei einigen Erregern die Virusvorstufen erkennbar. In der Literatur fand sich wenig über Viren in Pflanzenzellen. Nur für das Kartoffel-X-Virus waren Viruskörper beschrieben.
Mediziner hatten damals im Akridinorange schon einen Virusfarbstoff gefunden, der durch Mikroskopie im UV Virusbefall an menschlichen Zellen erkennbar macht. Auch pflanzliche Viren sprechen auf Akridinorange an.
Das Verfahren der Mediziner wurde etwas verändert aufgenommen. Mit dem Zusatz der Eiweißfarbe Bordeauxrot wurde das Verfahren dem Normalmikroskop zugänglich. Diese Färbung gelingt zwar nur in Wundreizzellen oder nach Bestrahlung mit UV-Licht, aber man färbt nun sowohl mit Akridinorange die Nukleinsäure als auch mit Bordeauxrot das Eiweiß des Virus ein.
Erwartet wurden nach dem Verhalten des X-Virus Viruskörper in den Zellen. Diese fanden sich auch bei zwei weiteren Erregern. Vier andere Viren (und dabei die schädlichsten) reagierten völlig anders. Sie stellten sich als Verbindungen mit Doppelfunktion vor: Sie veränderten die Zellform, sind also Wuchsstoffe. Die Vakuole hat dann drei Reaktionsmöglichkeiten:
- Das Lumen erscheint völlig gefärbt.
- Nur ein auf der Siebplatte geheftetes Tröpfchen nimmt Farbe auf.
- Die Vakuole bleibt ungefärbt aber die Form der Zelle ist verändert gegenüber der Normalform.
Wir konnten die bekannten Viren damals in zwei Klassen einteilen: in Körperviren und Zellsaftviren (dargestellt in der Veröffentlichung S. 170); in späteren Jahren fand sich im Rattle-Virus eine dritte Art, ein Virus das Zellkerne besiedelt. (Übertragen werden die Körperviren durch Berührung, die Zellsaftviren, soweit bekannt, durch saugende Insekten, die Zellkernviren durch Wurzelkontakt.)
Das Ziel der Arbeit in Stade war die Saatwertbestimmung (Ausschluß von kranken Saatkartoffeln). Bei den Zellsaftviren wurde, analog der Färbemethode der Mediziner, die gefärbte Phase in den Zellen der Saatknolle als Zeichen für Virusbefall angesehen.
Als einige alte Sorten an Virosen einzugehen drohten (sie beherrschten immer noch den Markt), kam es dabei zu Großversuchen. Der Anbauwert ließ sich nach Zellsaftfärbung (aus Schnitten der Saatknolle) sehr genau bestimmen. Bei den Neuzuchten zeigte die Zellsaftfärbung jedoch keine Virose an. Warum?
Erst im Ruhestand ließ sich mit Nachbauversuchen die Ursache dafür finden. Bei den alten Sorten waren Zellen ohne Berührung mit Viruswuchsstoffen gut zu erkennen. Bei den im Westen gezüchteten Nachkriegssorten sind schon alle Zellen der Leitungsbahnen von diesen "fremden" Wuchsstoffen geprägt (in ihrer Form verändert), oft von mehreren "Wuchsstoffen" gleichzeitig und das auch bei Saatkartoffeln bester Qualität. Nur Knollen, die bei fremdgeprägter Zellform keinen Farbstoff aufnehmen, bringen kranke Stauden. Diese enthalten die Virusform des Erregers. Im Virus sind also Nukleinsäure und Eiweiß so fest verbunden, daß sie auch bei intensiver UV-Bestrahlung unzugänglich für die Farbstoffe sind. Bei den Zellsaftviren zeigt die anfärbare Phase also nur eine Virusvorstufe an.
Aus den Beobachtungen im praktischen Kartoffelbau und der Laborarbeit deutet sich an, daß der Übergang (aus der Vorstufe) zum Virus von mehreren Faktoren abhängen kann:
a) von der Sorte, was alte und neue Züchtungen vorführten.
b) Von der Temperatur zur Zeit des Staudenwachstums.
Bei einem Erreger trat die Virose nach einem Nachtfrost im Juni auf, am Rande einer tiefgelegenen Wiese im sonst "gesunden" Bestand. Bei zwei anderen Erregern trat die Virose auf, als die Junitemperatur höher war als normal, vermutlich höher als 27°C, und zwar beim Y-Virus bei höherer Temperatur als bei Blattrollvirus. Da die Krankheiten sich in verändertem Wachstum der Blätter äußert, treten sie nur in der Wachstumsphase und einige Tage nach dem auslösenden Faktor auf.
c) UV-Licht kann u.U. im Labor die Struktur der Zellsaftviren verändern. Ob auch im Freiland?
Höhere Pflanzen und Tiere sind in ihren Reaktionen von vielen Faktoren abhängig, was exakte Versuche erschwert. Deshalb scheint die Kartoffelknolle in ihrer Knolle ein Idealobjekt für Virusuntersuchungen zu besitzen.
1. Sie hat eine so einfache Gewebestruktur, daß Veränderungen der Zellen in Form und Größe auffallen.
2. Die hohe Zahl der in ihrer Wirkung gut bekannten Viren läßt die Bandbreite ihrer Möglichkeiten gut erkennen.
Erarbeitet wurde das leider im Alleingang. Entscheidende Ratschläge gab es freilich doch:
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von Studienfreund Bogen, der in Braunschweig, dem Sitz der BBA, Botanik lehrte.
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Von Prof. Ullrich, der zur Anwendung von Bordeauxrot riet.
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Tiervirologe Frahm von der Milchwirtschaft in Kiel, der zum exakten (quantitativen?) Virusnachweis mit fluoreszierenden Antikörpern riet und entsprechende Versuche auch ausführte
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Sehr hilfreich waren auch Agrarmeteorologen, die auf die Temperaturunterschiede im Gelände auch bei geringen Höhenunterschieden hinwiesen.
Veröffentlicht wurde nur einmal, und das vor Jahrzehnten (s. Lit.). Dies ist auch für Praktiker ungewöhnlich und geschah auch nur auf intensives Drängen eines Mitherausgebers der Zeitschrift.
Es blieb ohne Resonanz. Kein Wunder, bei den Schwierigkeiten die Bedeutung der drei Phasen der Zellsaftviren zu deuten, wenn dabei eine Sortenabhängigkeit eine Rolle spielt. Mit ähnlichen Problemen haben es die Praktiker zu tun, die die Quellen des Vogelgrippevirus suchen. Sie finden es bei Katzen und bei im Stall gehaltenen Puten - da auch noch in Massen.
Da drängt es sich doch auf, ähnliches Verhalten von Tier- und Pflanzenviren zu vermuten. Die Körperviren gibt es bei Tieren sicher, die Zellsaftviren vermutlich auch. In Tageszeitungen kann man immerhin lesen, daß ein Herpesvirus das Wachstum der befallenen Zellen verändert oder ein Mediziner das Matrixprotein eines Virus sucht. Auch das Auftreten und Verschwinden der Gürtelrose deutet dahin.
Auch Virusforscher sollten sich zellphysiologisch engagieren. Die Gefahren, die von neuen Viren ausgehen, würden erkennbarer, wenn man findet: Nachweismethoden für Vorstufen (= fremde Wuchsstoffe, Matrixproteine, ?), die Art ihrer Übertragung, das Ausmaß ihrer Verbreitung und die Faktoren, die zur Virusbildung führen.
Leider werden weder Flora noch Fauna ein so günstiges Studienobjekt bieten wie die Kartoffelknolle, aber man könnte doch von der Knolle lernen: eine solche Vorstufe würde eine Nukleinsäure/Eiweißverbindung darstellen, die nur im Wundreiz oder mit UV-Bestrahlung bei pH 3,7 in die Bestandteile zerlegt werden kann. Wenn also eine Zelle im Zellsaft nach UV-Bestrahlung voll mit gelöstem Eiweiß erfüllt ist, enthält sie die Virusvorstufe.
Lit.: Ursula Ruschke-Heilmann: Über ein Verfahren zur zellphysiologischen Markierung virusbefallener Zellen und seine Anwendung zum Nachweis der Kartoffelvirosen an der Knolle. ? Eur. Potato J. Vol. 3 1960 S. 164-181.
Mit der Antikörper- Methode der BBA wird u.U. nur das ausgebildete Virus erfaßt, nicht jedoch die Virusvorstufen, da eventuell andere Oberflächenproteine bei Vorstufe und Virus vorliegen.
Eventuell sind die Virusnukleinssäuren von einem anderen Protein umhüllt als bei den Vorstufen. Dieses andere Protein hat eventuell einen anderen pH oder reagiert aus anderen Gründen nicht mit dem Eiweißfarbstoff Bordeauxrot reagiert.
Übergang von der Virusvorstufe in virulente Form (Krankheitsausbruch bei Wirt) unmittelbar nach dem Frost bei einem sonst scheinbar gesunden Bestand. Ein Temperaturreiz, wie Frost oder Temperaturen über z.B. 27°C lösen das Bilden des Virus aus seiner Vorstufe und damit das Erkranken der Wirtspflanze aus.