Wer sich im Botanikstudium bei Ruhland in Leipzig intensiv mit Zellphysiologie beschäftigen musste, kann dies später auch als praktische Kartoffelzüchterin nicht vergessen. Nach dem Krieg bot sich bei der Stader Saatzucht jedenfalls reichlich Gelegenheit zur Anwendung an.
Die vegetativ vermehrte Kartoffel wird von vielen Viren bedroht: viel Arbeit für den Züchter, der virusfreies Saatgut anbieten muss.
Zunächst wurden die alten hinterpommerschen Sorten angebaut. Bei ihrer besonders hohen Virusanfälligkeit waren sie dem Klimawechsel nicht gewachsen. Einfache Virusnachweis-methoden fehlten.
Auf der Suche danach gingen Phytopathologen einen exakten Weg: Sie weisen Virusbefall an grünen Trieben mit Antikörpern nach. Bei sieben Viren sind das sieben Arbeitsgänge.
Als Zellphysiologe sucht man lieber nach von Viren verursachten Änderungen im Zellstoffwechsel. Die Vorteile für die Praxis: Schon die Saatknolle enthält die Erreger, die zellphysiologisch in einem Arbeitsgang zu erfassen sind. Dazu hatten Mediziner im Akridinorange (Ao) bereits einen Virusfarbstoff beschrieben, auf den auch pflanzliche Viren ansprechen.
Ao markiert die Virusnukleinsäure, braucht aber leider ein Fluoreszenzmikroskop. Mit dem Zusatz einer Eiweißfarbe kann man aber zum praktikableren Normalmikroskop übergehen.
In Stade wurde in dieser Richtung ziemlich isoliert gearbeitet. Einige Helfer fanden sich aber doch:
Ein Studienkollege lehrte in Braunschweig Botanik, war an den Problemen interessiert und begutachtete auch als Zellphysiologe die Veröffentlichung.
Ein Bonner Botaniker schenkte die Eiweißfarbe, mit der sich die Ao-Färbung erweitern ließ - allerdings nur nach intensiver UV-Bestrahlung.
Als für die Veröffentlichung der exakte Virusnachweis fehlte, wies ein Kieler Tiervirologe auf fluoreszierende Antikörper hin und führte die entsprechenden Versuche auch aus.
Wenn auch jedes Virus in der Zelle nach eigener Art reagiert, unterscheiden sie sich aber in zwei Gruppen fundamental. Drei Viren bilden Körper. Vier weitere stellen sich als Verbindung mit Doppelfunktion vor. Sie sind Wuchsstoff und Virus zugleich. Der Wuchsstoff verändert die Zellform sehr auffällig. Das Virus reagiert in der Vakuole, und das noch mit drei Möglichkeiten:
Das Lumen erscheint völlig gefärbt.
Ein geheimnisvolles Tröpfchen nimmt Farbe auf.
Die Vakuole bleibt ungefärbt.
(Dargestellt in der Veröffentlichung S. 170, s. Beilage).
Bei der Kartoffel lassen sich also Körperviren und Zellsaftviren sehr einfach mit Vitalfärbung (aber auch mit fluoreszierenden Antikörpern) unterscheiden.
Die Zellsaftviren sind für den Züchter besonders interessant. Zunächst wurde versucht, den Saatwert an Hand der gefärbten Phase zu bestimmen. Als einige alte Sorten an Virosen einzugehen drohten, kam es sogar zu Großversuchen. Die Wertbestimmung gelang mit einer Exaktheit, die kein anderes Verfahren hätte bieten können.
Bei Neuzuchten zeigte die Zellsaftfärbung dagegen keine Virose an.
Erst im Ruhestand ließ sich mit Nachbauversuchen die Ursache dafür finden. Bei den alten Sorten waren Zellen ohne Berührung mit Viruswuchsstoffen gut zu erkennen. Bei den im Westen gezüchteten Nachkriegssorten sind schon alle Zellen der Leitungsbahnen von diesen "fremden" Wuchsstoffen geprägt. Und das auch bei Saatkartoffeln bester Qualität. Nur Knollen, die bei fremdgeprägter Zellform keinen Farbstoff aufnehmen, bringen kranke Stauden. Diese enthalten die Virusform des Erregers. Im Virus sind also Nukleinsäure und Eiweiß so fest verbunden, dass sie auch bei intensiver UV-Bestrahlung unzugänglich für die Farbstoffe sind.
Aus den Beobachtungen im praktischen Kartoffelbau und der Laborarbeit deutet sich an, dass der Übergang zum Virus von mehreren Faktoren abhängen kann.
Von der Sorte, was alte und neue Züchtungen vorführten.
Von der Temperatur zur Zeit des Staudenwachstums. Bei einem Erreger trat die Virose nach einem Nachtfrost im Juni auf. Bei zwei anderen geschah das nur, wenn die Junitemperatur höher als normal war.
UV-Licht kann u.U. im Labor die Struktur der Zellsaftviren verändern. Ob auch im Freiland?
Einige der angesprochenen Probleme warten auf exakte Beweise.
Alle unsere modernen Sorten enthalten die Nukleinsäure / Eiweißverbindung, die zum Virus entarten kann. Nun werden aber alle Saatkartoffelbestände gegen virusübertragende Blattläuse behandelt. Zu Recht?
Zum besseren Verständnis der Phytovirosen müsste die Temperaturabhängigkeit in temperierbaren Gewächshäusern genau bestimmt werden.
Auch der speziellen Wirkungsart der Virusgruppen käme man so vielleicht näher. Eine dritte Gruppe, das Kartoffelrattlevirus, das die Zellkerne besiedelt, ist besonders interessant.
Die Veröffentlichung der Nachbauversuche wurde leider abgelehnt. Dem an "exakten" Virusnachweis gewöhnten Experten scheinen die Virusvorstufen der Phantasie einer Praktikerin entsprungen zu sein. Die ungewöhnliche Art, Virosen zu betrachten, ist auch wohl nur an dem idealen Objekt Kartoffelknolle möglich. Dazu gehört natürlich auch die solide Ausbildung in Zellphysiologie bei Ruhland und die profunde Praxisbindung.
Lit.: Ursula Ruschke-Heilmann: Über ein Verfahren zur zellphysiologischen Markierung virusbefallener Zellen und seine Anwendung zum Nachweis der Kartoffelvirosen an der Knolle. ? Eur. Potato J. Vol. 3 1960 S. 164-181.