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Belgien

Karl Brodowsky, gefahren 1983, geschrieben 2002

Teil 1

Obwohl einige Radtouren schon ein nördliches oder ein westliches Nachbarland kurz berührt hatten, war für dieses Frühjahr 1983 jetzt meine erste richtig lange Radtour geplant, auf der ich auch längere Zeit in einigen westlichen Nachbarländern verbringen wollte. Es bot sich an, als Ziel gleich Belgien ins Auge zu fassen, weil das einfach zeitlich absolut drin lag.

Nun war das mit den Übernachtungen noch zu planen. Zu der Zeit nutzte ich noch relativ häufig Jugendherbergen (JH), wenn auch gerade in dieser Zeit dort noch vielfach Leute zu arbeiten schienen, die von der Bundeswehr kamen und die versuchten, dort etwas komische Dinge durchzuziehen. Der negative Beigeschmack ist geblieben, auch wenn sich das inzwischen längst gebessert haben soll. Aber es gab auch ganz handfest das Problem, das das Netz dieser Einrichtungen in den Niederlanden nicht dicht genug war, um damit überall, wo es notwendig erschien, übernachten zu können. So beschloß ich, ein Zelt mitzunehmen. Dummerweise ist es im Frühling nicht so einfach, so etwas zu bekommen. Obwohl es damals schon recht gute doppelwandige Zelte gab, mußte ich mit dem einzigen Modell, das man schon so früh im Jahr bekommen konnte, Vorlieb nehmen, in der Hoffnung, daß das dann beim ersten Aufbauversuch doch tatsächlich brauchbar sein könnte. Aber das Zelt blieb zunächst noch eingepackt, bis zu der ersten Gelegenheit, wo ich es wirklich brauchte.

Wenn man schon so weit fährt, ist es natürlich gut, am ersten Tag früh loszufahren. So um 5:00 ist eigentlich eine ganz passende Zeit, auch wenn ich das heute nicht mehr so mache. Aber was gut ist, läßt sich auch verbessern und so wollte ich diesmal sogar um 3:00 losfahren. Das hieß, daß ich ungefähr um 1:00 aufstand und dann so um 2:00 die Umstellung auf 3:00 Sommerzeit vornahm und von Bünsdorf aus losfuhr. Natürlich war es noch dunkel, bis kurz vor Itzehoe. Und damit mir auch wirklich klar wurde, daß Sommerzeit angesagt ist, mußte es die letzten 10 Kilometer vor Itzehoe auch noch ordentlich schneien. Ja, Handschuhe wären eine schöne Sache, aber dafür war es nun wieder zu spät im Jahr, um so etwas zu kaufen.

In Itzehoe wurde es langsam hell und ich wollte diesmal den Hamburger Stadtverkehr umgehen, indem ich die Fähre von Glückstadt nach Wischhafen über die Elbmündung benutze. Weil es keine direkte Straße von Itzehoe dorthin zu geben schien, jedenfalls keine, die man einfach nur mal so eben kurz finden konnte, fuhr ich Richtung Brunsbüttel, bis sich eine Chance bot, nach Glückstadt abzubieben, wo auch gleich ein recht hartnäckiger Begleiter, der Gegenwind in Erscheinung trat. Über die N 495, N 71 und N 74 kam ich nach Osterholz-Scharmbek, von wo ich eine direkte Straßenverbindung nach Bremen-Nord nahm, was so ungefähr die umgekehrte Richtung wie nach Bremen Mitte ist, weil sich die Stadt so lang an der Weser hochzieht. Es war vielleicht noch nicht so spät, aber vielleicht war ich doch so müde, jedenfalls blieb ich in Bremen-Blumenthal für die erste Nacht.

Auch ein so kleines Flüßchen wie die Weser ließ ich mit einer Fähre überqueren und dann war ich irgendwo auf dem Land und fand irgendeinen Weg nach Oldenburg, auf dem ich noch ein paar aufdringliche Anhalterfahrer loswerden mußte, die es eigentlich partout darauf angelegt hatten, Ärger zu machen. Oldenburg war schon damals eine recht radfahrerfeindliche Stadt, aber irgendwie fand ich den Weg aus dieser Stadt heraus und fuhr durch Ostfriesland nach Leer und dann über die Grenze in die Niederlande, wo ich ziemlich bald in Winschoten übernachtete.

Die Niederlande sind sicher dafür bekannt, daß dort viele Menschen Fahrräder benutzen. Aber es gibt doch sehr geteilte Meinungen darüber, ob die Niederlande eher das radfahrerfeindlichste oder das radfahrerfreundlichste Land in Europa sind, gerade damals, zu einer Zeit, wo sich Spanien noch nicht um einen Platz auf der Negativliste bemüht hat. Ich hatte mich zu der Zeit schon intensiv für diese Themen interessiert, aber mir absolut noch keine Meinung über die diesbezüglichen Verhältnisse in den Niederlanden gebildet, so daß ich die Sache auch ohne Vorurteile kennenlernen konnte. Mehr dazu kommt vielleicht später noch.

Nach der Durchquerung von Ostfriesland war nun Westfriesland an der Reihe. So gegen Abend bot mir ein Autofahrer an, mich zu einem Zeltplatz mitzunehmen und beschrieb mir den Weg, als ich selber fahren wollte. Komischerweise war da tatsächlich ein Zeltplatzschild, aber keine anderen Zelte, was irgendwie merkwürdig war. So fuhr ich erst einmal weiter, vielleicht auch die Nacht durch, nach einem guten Abendessen. Bei Harlingen, wo der Abschlußdeich über das Ijsselmeer beginnt, war es dann schon sehr windig und regnerisch, aber hier gab es doch noch einen richtigen Zeltplatz. Zufällig hatte der auch noch irgendwelche Räume mit Etagenbetten, so daß ich nicht einmal das Zelt aufbauen mußte.

Der Abschlußdeich ist 36 Kilometer lang und wegen des starken Gegenwindes brauchte ich etwas mehr als drei Stunden dafür. Es gibt dort eine Interstate-Straße (Autobahn) mit Radweg, auf dem auch Traktoren fahren dürfen, oder zwei Straßen, je nachdem, wie man das interpretieren will. Ansonsten gibt es links Wasser und rechts den hohen Deich, der die Straße, das Land und das Ijsselmeer auch vor hohen Sturmfluten schützen soll. Von der Mitte der Strecke aus konnte man natürlich keines der beiden Ufer sehen. Aber irgendwann kam ich doch ans andere Ufer und es war Zeit für eine kleine Mittagspause. Ich sah dort eine Familie mit kleinen Kindern und dachte, daß es lustig wäre, wenn die kleinen Kinder schon Niederländisch sprechen, aber sie sprachen Deutsch. Abends kam ich in eine für niederländische Verhältnisse bergige Gegend und der Ort, wo ich übernachtete hieß auch Bergen. Die Berge waren riesige Sanddünen an der Küste, die hier die Deiche teilweise ersetzen.

Die Weiterfahrt gestaltete sich etwas schwieriger, weil wieder einmal alle Straßen für Radfahrer gesperrt waren und sich der Nordzeekanal von der Küste nach Amsterdam in den Weg stellte. Ich fand auch keine Brücke oder Tunnel, sondern nur eine Fähre, um über dieses Gewässer zu kommen. Auf der anderen Seite des Wassers nahm ich dann von Haarlem eine Zug nach Rotterdam, wo ich eine Nacht blieb und am nächsten Tag weiterfahren wollte.

In Rotterdam mußte ich die Maas überqueren oder unterqueren. Der Weg schien durch einen Tunnel zu führen, der sich nur mit Rolltreppen erreichen ließ. Die längste Rolltreppe in Europa befindet sich angeblich beim Rendsburger Tunnel unter dem Nord-Ostsee-Kanal, aber diese war der Rendsburger Rolltreppe sicher längenmäßig knapp auf den Fersen. Es war eine ziemliche Mutprobe und Kraftprobe, mit dem vollbepackten Fahrrad auf den Schultern auf die Rolltreppe zu springen. Aber irgendwie klappte es ohne zu viele Knochenbrüche, obwohl ich unten angekommen noch eine Etage tiefer mußte, weil die obere Tunnelröhre für Fußgänger und die untere für Radfahrer war. Nach diesem etwas abenteuerlichen Anfang des Tages fand ich immerhin die Ausfahrt aus Rotterdam in recht bald. Über Roosendal kam ich zur Belgischen Grenze und plötzlich sahen die Gebäude, die Landschaft und alles ganz anders aus, nur die Sprache war fast gleich, zumindest für meine Ohren.

Teil 2

Am frühen Abend kam ich nach Antwerpen und freute mich schon, in dieser schönen Stadt noch Zeit zu haben. Ich suchte die Jugendherberge, aber keiner wußte etwas, nicht einmal wo die Touristeninformation war. Sprachlich war in Flandern und in den Niederlanden immer alles völlig unproblematisch, weil ich niemals auch nur eine einzige Person getroffen habe, die nicht Deutsch konnte. Die Flamen sind vermutlich Europameister in Sprachen, weil die Erwachsenen praktisch alle mit vier Sprachen (Flämisch, Englisch, Deutsch, Französich) sicher umgehen können. Aber es half nichts, man schickte mich einfach zum "Reisebüro am Pferdemarkt", das ich auch nach einiger Suche endlich fand. Die lächelten freundlich, machten aber gerade zu. So suchte ich eine Telefonzelle und sah im Jugendherbergsverzeichnis nach, was die für eine Telefonnummer hätten. Dort stand: "1.1.1982 - 31.12.1982 geschlossen, für weitere Informationen rufen Sie bitte... an." Die Telefonzelle nahm auch mein Geld gerne an, aber der Rest klappte nicht. Weil es immer noch recht früh am Abend war, dachte ich, ich könnte noch schnell bis Gent fahren, wo es sicher keine Probleme mit der Übernachtung geben sollte. Dafür mußte ich noch die Schelde unterqueren, aber das war ich ja von Rotterdam schon gewohnt, nur war es hier so tief, daß man zwei Rolltreppen nach unten brauchte. Gegenüber gab es aber einen Aufzug. Relativ bald fand ich die N 14, die hier weitgehend vierspurig ausgebaut und für 120 km/h zugelassen war, auch an Stellen, die man anderswo vielleicht Ortsdurchfahrt nennen würde. Aber in Belgien hört so etwas ja nie so richtig auf, denn die Straßen sind ja fast durchgängig bebaut. In zwei Stunden schaffte ich den 54 km langen Weg nach Gent und dort hing neben der Rezeption auch gleich ein Zettel, daß seit ein paar Wochen die JH in Antwerpen wieder geöffnet war. So nahm ich mir vor, Antwerpen später einmal zu besuchen, was ich auf einer Interrailfahrt 1986 auch nachholte. Es lohnt sich wirklich, aber Gent lohnt sich auch. Belgien ist ein sehr lohnendes Ziel für Liebhaber schöner alter Städte.

Über Brügge kam ich zur Norseeküste. Die ist vielleicht 80 km lang und es gibt eine Straßenbahnlinie, die die ganze Küste erschließt. Überall waren Strände, Hotels, Campingplätze und Wohnwagenhändler und es war alles bebaut. Abends kam ich nach Ostdünkirchen, wie der Ort wohl auf Deutsch heißen müßte, wenn er auf Flämisch Oostduinkerke heißt und Dünkirchen auf Flämisch Duinkerke. Abends fuhr ich nur 'mal so eben kurz nach Frankreich, aber nicht ganz bis Dünkirchen.

Von Ostdünkirchen nahm ich den direkteren Weg nach Brügge, nicht an der Küste entlang. Auch hier gab es eine Nationalstraße und tatsächlich sogar eine, die nicht beleuchtet war. Diesmal hatte ich viel Zeit, mir Brügge anzusehen, das bekanntlich wie Antwerpen und Gent auch eine sehr schöne Stadt ist.

Nun wollte ich irgendwo wieder über die Grenze und mit einer Fähre über den einen oder anderen Flußmündungsarm nach Vlissingen fahren. Abends kam ich wieder nach Bergen, aber einem anderen als auf dem Hinweg, "Bergen op Zoom". Eher etwas südlicher fuhr ich jetzt durch Breda, Roosendal, Tilburg nach Herzogenbusch (s'Hertogenbosch), wo ich jetzt wirklich das Zelt einmal ausprobieren durfte. In der Touristeninformation konnte man mir einen Zeltplatz nennen und da war so eine gewaltige Wiese, wo im Sommer einmal richtig viele Zelte und Wohnwagen stehen können. Natürlich gab es viel Wind und Regen, aber das Zelt für 99.80 DEM hielt dem diesmal noch gut stand.

Weiter auf diesem Weg kam ich durch Nimwegen (Nijmegen) nach Arnheim, wobei ich den Rhein wohl für diese Radtour endgültig überquerte. In Arnheim war die JH voll, aber es bot sich ja an, einfach nach Appeldoorn, Zuphten oder einen anderen Stadt zu übernachten. Ich kam durch einen Gegend mit wunderbaren Kiefernwäldern und da waren auch Zeltplätze dazwischen. Weil zum Abend auch noch die Sonne in Sicht kam, wollte ich doch wieder zelten. Der erste Zeltplatz war aber nur für Jahresmieter mit Wohnwagen, doch auf dem zweiten hatte ich mehr Glück, wenn auch das Wetter nicht über die ganze Nacht gut blieb.

In Anlehnung an meine Radtour von 1980 wollte ich wieder über Enschede fahren, mich dann aber auf dem kürzesten Weg nach Bremen orientieren. Wie war das jetzt mit den Niederlanden? Eigentlich für Radfahrer eher ungünstig. Es gibt wahnsinnig viele Straßen, die für Radfahrer gesperrt sind. Man hat Nationalstraßen, die man vielleicht früher einmal gut mit dem Fahrrad befahren konnte, beim Bau von Interstate-Straßen (Autobahnen) oft in lauter kurze Sackgassen zerschnitten, weil oft die Brücken gespart wurden. So ist man als Radfahrer zwar meist nicht allein gelassen, weil es meistens irgendeinen Weg gibt, wenn man ihn nur findet, aber das ist doch üblicherweise ein ziemlicher Umweg. Immerhin hat man nichts dagegen, eine als Autobahn ausgewiesene Interstate-Straße mit einem Radweg zu "beflecken", so daß es auf diesem Weg oft, aber auch nicht immer, eine Fahrmöglichkeit gibt, die aber wiederum dann plötzlich auf Umwege einschwenkt, wo sich größere Kleeblätter oder Auffahrten in den Weg stellen. Es gibt anscheinend keine Nationalstraßen, die man einfach auf der Fahrbahn befahren darf. Entweder sind die für Radfahrer gesperrt oder es gibt einen benutzungspflichtigen Radweg. Weil das Fahren auf Radwegen wesentlich gefährlicher ist, als das Fahren auf der Fahrbahn, sehe ich das eher als Nachteil an.

In Lingen gab es eine JH, wo ich so gegen 20:00 auftauchte. Der Chef dieser Institution wollte aber die Anmeldung nicht annehmen, weil es nach 19:00 war, es sei denn, ich setzte mich an den Tisch, um bis 22:00 auf die Anmeldezeit der Nachzügler zu warten. Gegenüber war ein Zeltplatz, so daß sich derartiger Schwachsinn erübrigte.

Auf ziemlich direktem Weg fuhr ich auf der N 213/E 72 (Numerierung von 1983) nach Cloppenburg, Wildeshausen und schließlich nach Bremen, wo ich Verwandte besuchen konnte und an einem Ruhetag sogar einen kleinen Ausflug nach Osterholz-Scharmbek machen konnte.

Eigentlich kann man ja von Bremen nach Kiel an einem Tag fahren, wenn man richtig weit kommt, wie ich das auf dem Hinweg ja schon fast geschafft habe, aber ich wollte mir den Stadtverkehr nicht antun, sondern die Stadt diesmal östlich umfahren. Leider bäumen sich die Straßen gegen derartiges Ansinnen auf, und man muß entweder sehr viel Zick-Zack fahren oder doch in den Süden von Hamburg einfahren, um die Stadt sofort wieder in Richtung Lüneburg zu verlassen. Bei Handorf nahm ich die N 404 über Eichholz nach Geesthacht, wo ich übernachtete und dann am letzten Tag von dort auf ziemlich direktem Weg nach Kiel fuhr.