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Radtourenwoche in Savoyen

geschrieben von Helga Labermeier

26.7.1997

Wir fahren mit dem Campingbus um halb 9 in Zürich los. Bei strömendem Regen überqueren wir - immer noch im Auto sitzend - Brünig und Grimsel um möglichst schnell ins Wallis zu kommen, wo angeblich immer gutes Wetter herrscht. In Vex, etwas oberhalb von Sion, stellen wir den Bus ab um endlich die Räder zu besteigen. Arolla heisst das Ziel. Laut Denzel's grossem Alpenstrassenführer soll das Val d'Herens das schönste Rhoneseitental sein, auch wenn's selbst unter den Schweizern kaum bekannt ist. Tatsächlich ist es genauso schön wie einsam. Vereinzelt auftauchende Orte wirken wie ausgestorben. Am Talende sind die Gletscher greifbar nah. Wir sind allerdings froh, dass uns in dem recht langen, unbeleuchteten Tunnel kurz vor Arolla kein Auto entgegenkommt.
Absolut faszinierend sind die Erdpyramiden in Euseigne, die mittels eines kurzen Strassentunnels ''durchfahren`` werden.
Wieder zurück am Bus geht's über den Grossen St. Bernhard. Da uns die Tunnelgebühr zu teuer ist, fahren wir über den erst ab hier sehr schönen Pass und erleben auf Passhöhe das eindrucksvolle Spektakel einer Wetterscheide. Die Wolken jagen über den See und schaffen es doch nicht, auf die Südseite zu kommen, die unter italienischer Sonne strahlt.
Die italienische Passseite ist so schön, dass wir kurz davor sind, in Aosta zu bleiben um am nächsten Tag da noch hochzustrampeln. Beim Kleinen St. Bernhard können wir dann allerdings wirklich nicht mehr widerstehen und beschliessen - da's eh gerade dunkel wird - die Nacht neben zwei anderen Campern kurz vor Passhöhe an einem wunderschönen See zu verbringen.

27.7.1997

Der Blick aus dem Fenster zeigt den Mont Blanc in seiner ganzen Schönheit unter strahlendblauem Himmel. Bin ich schon wach? Wir parken den Bus auf Passhöhe und fahren mit den Rädern wieder zurück ins Aostatal nach Pre St. Didier. Dort präsentiert sich dann das gesamte Mont Blanc Massiv. Fast 4000 Meter sind's bis da oben! Wir erleben hier auch den Start eines absoluten Amateurradrennens und fahren ca. 5 Minuten später hinterher. Der erste Rennteilnehmer ist schnell überholt. In La Thuile befinden wir uns bereits mitten im Feld und werden frenetisch angefeuert. Die Fans strecken uns Bananen und Wasserbecher entgegen und ich kriege einen Schwall Wasser ins Gesicht geschüttet. Wir kommen uns vor wie die ganz Grossen und die Italiener verdienen sich bei mir einen dicken Pluspunkt.
Überhaupt ist dieser Pass einer der schönsten, die ich je gefahren bin. Sehr gut zu treten, da er gleichmässig nur ca. 8% aufweist, sehr kurvenreich, üppigste Almmatten links und rechts, allerbester Fahrbahnbelag (und das in Italien!), immer wieder der Blick auf den Mont Blanc und trotz des Sonntags hält sich der Verkehr sehr in Grenzen. Die Passhöhe ist viel zu schnell erreicht.
Etwas abseits gönnen wir uns eine ausgiebige Mittagspause, bevor wir mit dem Bus nach Seez abfahren. Die französische Passseite lockt mich deutlich weniger. Das Gefälle ist so gering, dass wir ewig brauchen, bis wir endlich den Campingplatz erreicht haben. Hier schlagen wir für die nächsten Tage unsere Zelte auf. In Bourg St. Maurice flanieren wir noch durch die Fussgängerzone und kaufen obligatorische Postkarten.

28.7.1997

Der Iseran steht auf dem Programm. Obwohl wir's sehr gemütlich angehen lassen und die Strecke erstmal hauptsächlich im Schatten verläuft, tropft der Schweiss bald aus allen Poren. Bis Val d'Isere gefällt's mir überhaupt nicht. Zu viel Schwerlastverkehr nebelt uns immer wieder in dicke Russwolken. Zwischen Tigne und Val d'Isere müssen wir auch einige - teilweise recht lange - unbeleuchtete Tunnels durchfahren. Ich bin froh, als ich heil durch bin. Ab Val d'Isere geht's dann richtig los. Dieser Pass ist so genial in die Landschaft eingefügt, dass man die Streckenführung oft nicht mal auf dem nächsten Kilometer erahnen kann. Und immer wieder lesen wir bekannte Namen auf der Strasse. Tony, Riis, Indurain, Virenque... Wollte hier nicht letztes Jahr die Tour drüber? Vielleicht ist deshalb der Strassenbelag auch so gut. Der gesamte Pass ist nicht sonderlich steil aber einigermassen unrhythmisch. Ich schalte viel. Wenngleich der Iseran noch ein paar Meter höher ist als das Stilfserjoch und eine viel schönere, unverbaute Passhöhe aufzuweisen hat, mit dem besonderen Flair des Stilfserjochs kann er bei weitem nicht mithalten.

29.7.1997

Der Blick zum Himmel lässt uns prophylaktisch, wenngleich auch unnötig, die Regensachen einpacken. Kurz nach dem Campingplatz geht die Strasse auf den Cormet de Roselend ab. Ein kleines Strässlein durch unglaublich schöne Landschaft. Allerdings teilweise doch knackig steil. Nach 2/3 des Passes wäre ein Abstecher nach Ville des Glaciers evtl. sehr lohnend, wenn das Mont Blanc Massiv nicht in Wolken gehüllt wäre. So wissen wir allerdings immer noch nicht, wie weit die Strasse in dieses Tal asphaltiert ist.
Die Passhöhe des Roselend lassen wir hinter uns und fahren bis zum Stausee 300 Höhenmeter tiefer ab und auf der anderen Seite der Staumauer zum Col de Pré, der angeblich ebenfalls prächtige Ausblicke bietet. Trotzdem lohnen sich die 100 zusätzlichen Höhenmeter allein wegen dem Blick auf den smaragdgrünen See, den wir kurz darauf badenenderweise testen.
Auf der erneuten Auffahrt zum Cormet de Roselend sind wir wieder ständig beschäftigt, letztjährige Tour de France Inschriften zu lesen.
Die erste Hälfte der Abfahrt ist schnell. Der Belag ist gut geflickt. Danach werde ich auf meinem Rennrad grausam durchgeschüttelt. Stefan mit dem Mountainbike und Matthias auf dem Tourenrad kommen etwas besser über die Unebenheiten. Bei der Abfahrt merke ich auch erst, wie steil der Pass doch war. Vor allem einige Kehren sind so steil und eng, dass ich mein Rad fast ums Eck trage, da der Verkehr inzwischen auch zugenommen hat und wir die Strasse nicht mehr für uns allein haben wie noch am Vormittag.
Wieder im Tal gehen wir in den Supermarkt um für's Abendessen einzukaufen und ich stelle fest, dass mein Triathlonlenkeraufsatz (der hier in den Bergen ziemlich unnötig ist, ich war aber zu faul, ihn abzumontieren) wenigstens einen hervorragenden Baguetteträger abgibt.

30.7.1997

Wir wechseln unseren Standort und fahren mit dem Bus über den Col de la Madeleine nach La Chambre um kurz darauf den Pass auch noch radelnderweise auf uns zu nehmen. In der sengenden Mittagshitze verweigert mein Stirnband schon nach 2 km seinen Dienst. Nur sehr selten erfrischt uns eine leichte Brise und genauso selten bietet ein Baum ein wenig Schatten. Wir lenken uns mit Lesen ab. Die kompletten 20 km sind ganz frisch beschrieben, sind doch erst vor 10 Tagen die Profis hier drüber. Erinnerungen an eine auf Passhöhe miterlebte Giro-Etappe kommen auf. Man hört noch fast das Echo der x-Tausend Zuschauer. So erreichen wir recht schnell die Passhöhe dieses relativ steilen Passes. Zum ersten Mal bin ich froh um meine 1:1-Übersetzung. Sehr positiv ist, dass wir den Pass, der dazu noch recht gut ausgebaut ist, fast für uns allein haben. Oben geniessen wir die ruhige Passhöhe, welche Ausblicke vom Mont Blanc bis zum Ecrins-Massiv bietet.

31.7.1997

Wir wollen die Runde Col de la Croix de Fer - Col de la Glandon radeln und landen erstmal in einer Sackgasse. Von der richtigen Strasse trennt uns die Bahnlinie und nach kurzem Zögern wagen wir es, als der Zaun einen Durchschlupf bietet, über die Gleise zu springen. Die Strasse ist aber ein Alptraum. Da die daneben verlaufende Autobahn noch nicht ganz fertig ist, donnert dichtester Verkehr an uns vorbei. (Auf der anderen Flussseite gäbe es noch eine schöne Nebenstrasse.) In St. Jean de Maurienne entschliessen wir uns dazu, nicht die direkte Strecke zum Croix de Fer, sondern die erheblich interessanter aussehende Alternative über Albiez und Col du Mollard zu nehmen, auch wenn wir uns dadurch ca. 300 zusätzliche Höhenmeter aufbürden. Aber die 46 Kehren über das absolut einsame Waldsträsschen sind einfach genial. Noch besser wäre es, wenn ich mir nicht den Magen verdorben hätte. Mir wird immer übler. Nach 1000 Höhenmetern beschliesse ich, die Männer allein weiterfahren zu lassen. Nach ein paar abgefahrenen Metern will ich mir doch noch die Jacke anziehen, als mir - mit dem rechten Fuss noch eingeklickt - das Rad wegrutscht, ich das Gleichgewicht verliere und mir das Knie aufschlage. Mein Kreislauf geht sofort in den Keller und endlich werde ich mein Frühstück los. Schlagartig geht's mir besser und nun will ich wenigstens noch den Col du Mollard fertigfahren. Das geht auch recht gut und da mein Wille ziemlich stark sein kann, will ich es mir antun und mich den Croix de Fer hochleiden. Ganz so schlimm wird's Gott sei Dank aber nicht. Die ersten 7 km nach der Abzweigung vom Mollard sind recht flach und irgendwie schaffe ich die letzten 500 Höhenmeter auch noch, obwohl's da dann schon recht steil ist und mir vor allem die fehlende Flüssigkeit zu schaffen macht. Von der Umgebung kriege ich recht wenig mit, sehe hauptsächlich die nächsten beiden Meter auf der Strasse. Einzig die französische Antwort auf die 3 Zinnen - der Aiguilles d'Arves - kann etwas Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Die Abfahrt über den Glandon entschädigt für jegliche Qual. Eine tolle, kurvenreiche, aber sehr flüssige Genussabfahrt auf grösstenteils sehr guter Strasse.

1.8.1997

Der Himmel hält sich bedeckt und von uns ist niemand so richtig motiviert, die ``Königsetappe'' auf den Galibier zu machen. Wir beschliessen stattdessen nach Montvernier und weiter über den Col de Chaussy zu fahren, da im Denzel ein sagenhaftes Bild dieser kehrenreichen Strecke (24 Serpentinen auf 4 km!) abgebildet ist. Tatsächlich muss man fast schwindelfrei sein wenn man die Strecke fahren will, neben der auch ein tollkühn angelegter Klettersteig angelegt ist. Stefan und Matthias ärgern sich, dass sie ihre Kletterausrüstung nicht dabei haben. Auf den gut 1000 Höhenmetern bis zur Passhöhe stören uns ganze 6 Autos. Wiedermal wird klar, dass es nicht unbedingt die grossen Namen sein müssen, die einem zu einer schönen Tour verhelfen.
Die Abfahrt nach Bonvillard ist auch mit dem Rennrad noch ganz gut zu machen. Stefan will anschliessend die Strasse, die von Bonvillard durch's Skigebiet zum Col de la Madeleine führt, ausprobieren. Da auch gerade ein Rennradler von dort runterkommt, wage ich das ebenfalls Risiko und gehe prompt ziemlich ein. Nach ca. 5 steilen Kilometern hört der Asphalt auf und geht in sehr groben Schotter über. Laut Stefan macht die Strecke nicht mal mit dem MTB richtig Spass. Ich schiebe und das Ganze geht deutlich länger als befürchtet. Gut 200 Höhenmeter vor Passhöhe stossen wir wieder auf die normale Strasse. Wie schön ist es, wieder flüssig fahren zu können. So sehen wir das Passhöhenschild vom Col de la Madeleine nun schon zum 3. Mal. Die Sicht ist diesmal allerdings schlecht und warm ist's auch nicht gerade. So fahren wir recht bald ab und verbringen den Rest des Nachmittags damit, unsere übrigen Francs in einem Supermarkt loszuwerden.

2.8.1997

Bei wieder bestem Wetter müssen wir die Heimreise antreten. So umständlich, wie wir Frankreich erreicht haben, fahren wir auch wieder zurück. Bereits wieder in der Schweiz, sehen wir am Col de la Croix zum letzten Mal frische Tour-Beschriftungen. Dieser Pass und die bisher noch nicht gekannte tolle Landschaft um Les Diablerets gefallen mir so gut, dass ich schon wieder ganz glänzende Augen kriege in der Vorfreude hier sicher bald ein paar Schweisstropfen loszuwerden.

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Weitere Infos gibt es bei mir:

Helga Labermeier
Heizenholz 35
CH-8049 Zürich