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Windstärke neun in Rimini

Anekdoten einer Radtour

Peter Alteheld berichtet von seiner Sommertour durch südliche Gefilde. (gefahren & geschrieben 1997)

Einleitung

Nach zwei Langstrecken-Radtouren in '94 und in '95 bin ich dem Langestreckenradeln verfallen. Wir wollten zu zweit eine Woche durch Korsika radeln und ich hatte eine zweite Woche für mich allein zur Verfügung. Was lag da näher als meinem Radldrang zu folgen und in der Woche durch die Toskana, über den Apennin, durch San Marino, die Adria hoch, durch Slowenien nach Österreich und dort über die Großglockner-Hochalpenstraße zu radeln?

Zelten in Marseille?

Für die Anreise hatten wir uns den Fahrradbus ausgesucht, der uns an der Pont du Gard in der Provence absetzte. Bei strahlendem Sonnenschein radelten wir zur Rhone und daran entlang nach Arles. Nach einem Schlenker durch die platte und karge Camargue nahmen wir den Zug nach Marseille. Von den drei Campingplätzen im Stadtplan von Marseille existierte keiner mehr. Wir hatten jedoch Glück im Unglück: 200m hinter dem Campingplatz war eine Jugendherberge, die uns des morgens mit lecker knusprigen Baguette und heißem Kakao bewirtete.

Kiwi-Plantagen

Der Fährpreis zur Ostküste Korsikas war halb so hoch wie der zur nähergelegenen Westküste, so daß wir uns entschieden, zur Ostküste zu fahren, mit der korsischen Eisenbahn(CFC) zur Paßhöhe raufzufahren und zur Westküste herunterzurollen. Jetzt im September waren die Feigen und auch die Kaktusfeigen reif und wir konnten uns daran stärken. Nach einem Badetag am wunderschönen Golfo de la Liscia brachte uns die CFC wieder rauf zur Paßhöhe. Auf einem urigen Campingplatz zelteten wir unter Apfelbäumen, deren reife Früchte den Radlern als Nahrung dienten. Auf kaum drei Meter breiten Straßen ging es dann durch die schroffe, aber auch grüne Bergwelt Richtung Ostküste. Nach einer 15 km langen Abfahrt fanden wir uns inmitten von Kiwi- und Orangenplantagen wieder. Wenige Kilometer weiter erwartete uns ein endloser Sandstrand, den wir fast für uns alleine hatten.

Was für ein Pechvogel

In Bastia trafen wir einen Radler wieder, den wir bereits im Zug kennengelernt hatten. Ihm hatte das Schicksal arg zugesetzt: auf einem Zeltplatz hatte die Rezeption mehrere Stunden im Müll wühlen müssen, um seinen Paß wiederzufinden; beim Radeln konnte er mit seiner Partnerin nicht mithalten, so daß er die Tour abbrach; das teure Hotelzimmer in Bastia war voller Kakerlaken und zu laut, so daß er noch in der Nacht wieder auszog; beim Radeln am Folgetag - das erste Mal ohne Helm - stürzte er, so daß er mit ein paar Stichen am Kopf genäht werden mußte; schließlich fing er das Rauchen wieder an. Ich hoffte für ihn, daß sein neues Zelt feuerfest ist.

Fünf Monate zuvor in Hongkong losgeradelt

Nach der Fährfahrt nach Livorno zum italienischen Festland radelte ich alleine weiter. Auf flacher Strecke am Arno entlang erreichte ich Florenz noch am selben Abend. Am Tourismusbüro ließ ich mir einen Plan geben, der mir den Weg zum Zeltplatz zeigte. Allerdings beschränkte sich die lateinische Schrift auf die Straßennamen. Erst zwei Tage später zeigte sich, daß der Plan doch noch zu Besitzern kam, die ihn auch lesen konnten. Als mir nämlich zwei japanische Weltumradler entgegenkamen, schenkte ich ihnen den Plan. Wieso sie wohl vermuteten, daß ich Stadtpläne von Florenz in jedweder Sprache dabei hätte? Die beiden waren fünf Monate zuvor in Hongkong gestartet und hatten lediglich durch den Iran den Bus genommen.

O sole mio?

Von Florenz zur Adria mußte ich den Apennin überwinden - für Höhenmeterverständige: 100m-1070m-300m-1270m-500m alles ü.N.N. Hier erwischte mich der einzige Regentag der Tour. Die tiefhängenden Wolken versperrten mir die Fernsicht. Die Höhenlagen des Apennin sind bewaldet und Wanderherbergen säumten den Weg. Vom höchsten Paß, den Paso dei Mandrioli ging es steil hinab an schroffen Felsformationen vorbei nach Bagno Romagna. Der Lebensmittelverkäufer meinte auf meine besorgte Frage, ob das Wetter in Rimini auch so schlecht sei: oh nein, nur hier in den Berge regne es, an der Adria schiene die Sonne - o sole mio. O sole mio sah ich dann eine Stunde später in dem Wetterbericht des italienischen Fernsehens auf dem Campingplatz: Sturmstärke Neun in Rimini, haushohe Wellen, umstürzende Wohnwagen. Am Morgen drauf schien die Sonne und der ganze Spuk war vergessen.

Adriatico

San Marino erwartete mich mittags mit einem heftig steilen Anstieg. Die 20 km lange Abfahrt (700 Höhenmeter) nach Rimini war dafür umso berauschender. Riminis Strände waren sprichwörtlich leergefegt (welch Wunder). Und auf dem Zeltplatz drängte man mich merkwürdigerweise doch sehr, mein Zelt unter der Überdachung aufzubauen. Aber es kam kein zweiter Sturm. Am nächsten Tag kam ich durch Cesenatico (Ziel der ADFC-Fernfahrt, vgl. Radwelt) und Ravenna, wo es Radspuren entgegen von Einbahnstraßen gibt. An der Küste ging es dann bis zur Po-Mündung auf einer viel (und besonders von griechischen LKW) befahrenen Landstraße entlang - zum Glück war der Strand nie weit. Im Po-Delta sind gar touristische Radrouten ausgeschildert. Am Abend erreichte ich noch die Lagune von Venedig mit ihrem türkisfarbenen Wasser.

Schokoladeneis?

Irgendwann kommt er. Der Heißhunger auf ein Eis. Und sei es auch erst nach zehn Tagen Heißwetterradelns. Plötzlich war er halt da. Und welch ein Glück - zwei Kilometer weiter war sie - die Eisdiele. Und welch cremiges Eis gab es hier! Mich lockte ein schokoladenfarbenes Eis mit dicken Schokostücken. Als ich dann voller Vorfreude hineinbiß, durchfuhr mich ein Schlag - saure Lakritz. Wie kann man einem Eis nur sowas antun?

Der slowenische Dollar

Am drauffolgenden Tag kostete mich die Suche nach dem internationalen Grenzübergang in Gorizia / Nova Gorica (Görz) einige Zeit. Dafür konnte ich direkt hinter der Grenze Geld wechseln. Auf meine Frage, wie denn die Währung hieße, kam die Antwort: Dollar - Tolarjev, der slowenische Dollar.

Schwimmen? Im Fluß?

Auf dem Weg zum Vršičpass folgte ich dem Tal des Soča-Flusses. Dieser schimmerte in dunkelgrüner Farbe in dem Uferbett aus weißen Felsgestein und lud den vom Bergauffahren erhitzten Radlern zum Baden ein. An einem Campingplatz nutzte ich die Chance. Jedoch erhielt ich vom Platzwart auf meine Frage zunächst die erstaunte Antwort: Schwimmen? Im Fluß? Warum er so merkwürdig fragte, wurde mir klar, als ich die Zehenspitze im Wasser hatte. Das Wasser war gut acht Grad warm. Aber immerhin genug für einen erhitzten Radler um zweimal unterzutauchen und kräftig nach Luft zu japsen.

18% rauf, 26% runter

Der Vršičpass (1612 m) stellt schon eine ordentliche Herausforderung dar. Dafür wurde der Radler auch mit der alpinen Bergwelt und guter Fernsicht belohnt. Nach der Abfahrt hinab zum Wintersportort Kranjska Gora (Kronau) ging es sehr steil mit 18% hinauf zum Wurzenpaß (Korensko sedlo) an der österreichischen Grenze. Aber dieses Maß der Steigung wurde noch deutlich übertroffen durch das Gefälle von 26% auf der Nordseite, das in einer Haarnadelkurve mit über 30% steiler Notausfahrt endete.

Endlich Schnee

Gute 100km ging es jetzt flach an Drau und Möll entlang Richtung Westen. Und endlich kam Schnee in Sicht. Schnee im Sommer hat für mich einen besonderen Reiz. Nur schade, daß er in den Alpen erst soweit oben liegt. Am 2500m hohen Hochtor der Großglockner-Hochalpenstraße lag die Südseite in der strahlenden, wärmenden Sonne und die Nordseite, an der Schnee lag, im Nebel. Na dann hatte es sich wenigstens für die nächsten 30 Minuten Abfahrt gelohnt, Stirnband, Schal und Winterhandschuhe einzustecken. Am letzten Tag dieser erlebnisreichen Tour reizten dann weder der Thurner Paß, Kitzbühel noch der Wilde Kaiser sonderlich. Für den Rückweg wählte ich den Zug: von Kufstein nach München und ab dort nach Bonn mit dem Nachtzug mit Gepäck- und Liegewagen.