Home »» Reiseberichte »» Nordeuropa »» Schweden »» Familienradtour 1994

Familienradtour in Schweden, Norwegen und Deutschland

Karl Brodowsky, gefahren 1994-07-21 - 1994-08-25, geschrieben 1994

Teil 1: Von Göteborg zum Nordufer des Vänersees

[Anfang] [Ende]

Wir waren bei dieser Familienradtour zu dritt: Ulrich (damals 1 Jahr), Bernhard (damals 3 Jahre), und ich / Karl, der Autor dieses Textes. Ich hatte mein Fahrrad mitgenommen. Die Kinder saßen im Anhänger (Leggero). Aber erstmal war ich in Heidelberg. Zufällig hatte ich die Kinder, mein Fahrrad und den Anhänger schon zwei Wochen früher nach Schleswig-Holstein gebracht, wo sie so lange bei meinen Eltern waren. So musste ich mich nur mal eben für knappe 6 Stunden in den einen oder anderen Zug setzen und dann konnte man in Kiel weitersehen.

Mit der Gepäckmenge ist das zu dritt mit einem Fahrrad nicht ganz einfach, aber ich schaffte es irgendwie doch, so ungefähr alles unterzubringen und den Rest auch noch mitzunehmen, ohne dass ich deshalb freihändig fahren musste, um die paar übrigen Taschen noch in den Händen zu halten. Die Packtaschen wurden mit einem wasserlöslichen Stift beschriftet, um bei Bedarf die Dinge schneller finden zu können. Das hat sich auf der ganzen Tour als sehr praktisch erwiesen, weil ich zumindest gegen Ende wirklich wusste, was ich wo zu suchen hatte. Dann kam noch ein Seesack, den ich der Einfachheit halber aufgrund einer alten Familientradition als den Bären bezeichnete, mit Zelt, Kochgeschirr, Isomatten, Wickelzeug und Regenzeug auf mein Fahrrad und dazu noch ein wasserdichter Ortliebsack mit den Schlafsäcken. Vorne hatte ich einen kleineren, aber ziemlich schweren Rucksack mit Essen, Papierkram, Spielsachen für mich (Kamera) und allem, was sonst noch so übrigblieb. Etwas passte auch noch in den Anhänger, zum Beispiel etliche Liter Wasser, wovon ich insgesamt bis zu 7 1/2 Liter in verschiedenen Flaschen dabei hatte, und nach jedem Einkauf noch etwas Milch, Brot und andere Dinge, vor allem aber auch ein paar Spielzeuge für die Kinder.

So ging es dann an Bord der Stena-Fähre, die uns nach Göteborg bringen sollte. Die kontrollierten kaum unsere Fahrkarten und beanstandeten auch schon gar nicht die Tatsache, dass wir vielleicht für ein Fahrrad etwas übergewichtig waren. Immerhin wog mein Gespann wohl etwa 180 kg, wenn es mit drei Personen besetzt war, eher mehr als weniger. Das war jedoch wie das Frühstück im Fahrpreis enthalten, der dann auch letztlich zusammen mit der billigsten Kabine, die man zwei Monate vorher noch reservieren konnte, ganz schön hoch war. Jedenfalls war er viel höher als der Preis der Bahnfahrt nach Kiel insgesamt und sogar etwas höher als der Preis der eigentlich viel schöneren Fähre von Kiel nach Oslo gewesen wäre. Die wollte ich aber nicht benutzen, weil man dort erstmal kaum am Ankunftstag aus dem Stadtverkehr herauskommt und weil die Berge, die man dann sehr bald gehabt hätte, vielleicht auch nicht gerade einen gemütlichen Anfang der Tour gewährleistet hätten.

Die Seefahrt war sehr schön, denn wir konnten bis 6 Uhr morgens einigermaßen gut schlafen. Dann begannen aber so langsam die nicht abschaltbaren Lautsprecherdurchsagen, damit um diese Zeit schon die ersten zum Frühstück kämen und um 8:00 beim Anlegen wirklich alle in den Startlöchern sein konnten, weil das Schiff um 8:30 oder besser noch um 8:15 geräumt sein sollte. Ich ließ mir aber trotzdem beim Frühstücken mit den Kindern Zeit bis zum absoluten Rausschmiss, so dass den beiden Kleinen das Erlebnis erspart blieb, beim Anlassen von ungefähr 40000 Pferdestärken in Gestalt von Lastwagen- und Automotoren dabeizusein.

Aber wir fuhren dann trotzdem auch ziemlich bald von Bord, als nur noch von gewissen Leuten, die wohl nicht einmal als Busfahrer genommen worden waren, mit speziellen Zugmaschinen die unbegleiteten Sattelauflieger aus dem Schiff entladen wurden. Danach zwängten wir uns durch den Göteborger Stadtverkehr, wobei ich dem Ostufer des Götaälv folgte, was uns weitgehender vor Querverkehr als vor Baustellen bewahrte. In dieser Richtung kam man relativ schnell aus der Ortsdurchfahrt heraus auf die zunächst vierspurige, aber immerhin kraftfahrtstraßenfreie und kreuzungsfreie N 45 (damals bis Bohus N 45/E 6, heute E 45), die wenigstens so wenig befahren war, dass eine Baustelle mit Fahrbahnhalbierung keinen Stau verursachte. Es gab neuerdings dort auch so manche kleine Teilstrecke mit einem Radweg, der aber jeweils konsequent dazu neigte, irgendwann nach rechts abzubiegen, wo ich geradeaus fahren wollte. So gewöhnte ich mir gleich an, den Ra(n)dstreifen gegenüber irgendwelchen Radwegen zu bevorzugen. Diese Straße sollte übrigens bis etwa 2012 ersatzlos wegfallen, da man darauf verzichten will, Radfahrern eine legale und schnelle und einfache Möglichkeit zu bieten, von Göteborg nach Trollhättan zu fahren. Stattdessen soll dort nur noch eine Autobahn verlaufen. Inzwischen, 2020, sieht man, dass die Straße von Göteborg bis kurz vor Bohus erhalten geblieben ist und von Radfahrern vollständig befahren werden kann. Aber etwas südlich von Bohus beginnt das Autobahngebastel und man hat für Radfahrer eine extra schlechte neue Zickzack-Route mit extra Hügeln und extrem vielen Ampeln zur Förderung der Verlagerung des Verkehrs vom Fahrrad auf das Auto gebaut. Aber 1994 war es der Traum, dort zu fahren.

Irgendwann hörte auch die Vierspurigkeit auf und ich sah das dann als das eigentliche Ende Göteborgs und damit als Anlass für eine erste wohlverdiente Pause an, sobald sich ein geeigneter Platz bot. Der tauchte auch bald neben der Nationalstraße in Form einer ehemaligen Skatebord- oder Rollschuhbahn auf, die noch nicht von den ganz kleinen Diätmantas zur Sandkastenautorennbahn missbraucht wurde. 35 km nördlich von Göteborg hörte sogar die Beleuchtung auf, aber die Straße ging trotzdem noch weiter, mindestens bis Trollhättan. Das sollte uns für den ersten Tag auch schon reichen, zumal ich auf die abwegige Idee kam, ohne Ordnungswidrigkeiten vom südlichen Ortsrand bis zum Zeltplatz zu fahren, was neuerdings durch eine explizite Benutzungspflicht für irgendwelche aufwendig verkehrsberuhigten Radwege erschwert worden ist. Für den zweiten und dritten Tag sollte uns das auch reichen, denn wir legten bei dem dortigen Zeltplatz gleich zwei Ruhetage ein und besichtigten an einem Tag das Kraftwerk und die Schleusen in Trollhättan selbst und fuhren am anderen Tag nach Vänersborg zum Baden.

Das Kraftwerk ist ein etwas älteres Bauwerk, genaugenommen das älteste größere Wasserkraftwerk in Schweden, bei dem man noch direkt etwas von der Besichtigung hatte. Mit 36 Höhenmetern und einem ganz schön großen Wasservolumen ist es aber doch unter den großen Kraftwerken eines der kleinsten. An manchen Tagen wird sogar der Wasserfall, der eigentlich zugunsten der Elektrizitätsgewinnung trockengelegt worden ist, kurz eingeschaltet, aber das betraf uns diesmal natürlich nicht. Bei den Schleusen konnte man sehr viele Generationen von Schleusentreppen sehen, die teilweise noch aus dem vorigen Jahrhundert stammten.

Aber ich wollte dann auch nicht gleich den ganzen Urlaub an einem Ort verbringen und machten uns dann einmal wieder mit dem ganzen Gepäck auf den Weg nach Osten. Hier hat sich leider eine etwas unerfreuliche Änderung in der Art der Fahrbahneinteilung ergeben, weil die beiden breiten Radstreifen zugunsten breiterer Spuren aufgegeben worden waren und am rechten Fahrbahnrand eine breite Linie eingezeichnet worden war, die rechts nicht genug Platz für das Fahren mit Anhänger ließ und auf der man auch nicht fahren konnte, weil sie deutliche Unebenheiten aufwies. Trotzdem war es noch ganz angenehm zu fahren, weil die Spuren wirklich so breit waren, dass das Überholtwerden innerhalb einer Spur überhaupt kein Problem war.

In der Hoffnung, etwas mehr vom Vänersee zu sehen, folgte ich auf der zweiten Hälfte des Weges statt der N 44 einer asphaltierten Straße, die näher am Ufer verlaufen sollte. Das stimmte wohl auch, aber nah genug, um das Wasser zu sehen, war es auch wieder nicht, dafür trotzdem auch eine ganz schöne Strecke durch viele Wälder und an Steinzäunen entlang, die uns eine angenehm erholsame Pause im Garten einer Kirche ermöglichte, weil dessen Tor von innen für die Kinder nicht zu öffnen war und von außen nicht von Autos durchdrungen wurde.

Die Kinder schliefen übrigens oft tagsüber im Anhänger. Abends waren sie dann fit, als ich müde war. Im Laufe der Zeit spielte es sich dann aber so ein, dass sie etwa gleichlange wie ich in der Nacht schliefen, was sich als sehr praktisch erwies, nachdem ich mich schon sehr am Anfang der Reise von dem Gedanken verabschiedet hatten, die normalen Schlafzeiten zu halten.

In Lidköping gab es an der Stelle, wo diese Straße auf den Ort stieß, einen sehr schönen Zeltplatz direkt am Seeufer, wo man schön baden konnte, theoretisch sogar im daneben liegenden Schwimmbad, allerdings nur zu dessen Öffnungszeiten. Für das Aufwärmen der Milch für die Kinder brauchte man nicht auf die Kochplatten, die es auf jedem Zeltplatz selbstverständlich irgendwo in einer für dessen Gäste zugänglichen Küche gab, zurückzugreifen, sondern es gab sogar ein Mikrowellengerät. Da blieben ich dann auch gleich zwei Nächte und sah mir mit Bernhard und Ulrich an dem Ruhetag das Schloss Lackö auf einer durch eine Brücke und etwa 20 Kilometer Fahrt erreichbaren Insel an. Dort badeten wir dann auch gleich noch im Vänersee. Bei der Abfahrt wurden wir sogar gefilmt, nachdem der Anhänger vor dem Schloss schon einigermaßen viel Aufmerksamkeit genossen hatte. 1994 waren Kinderanhänger noch eine Seltenheit. Die Rückfahrt ging sehr schnell, obwohl die Straße eigentlich ziemlich hügelig war. Es machte mir da irgendwie Spaß, trotzdem einigermaßen gute Fahrt zu machen.

Nun sah die ursprüngliche Planung vor, so langsam zu dem anderen großen See zu kommen, den Vättersee nördlich zu umrunden und dann vielleicht noch die Inseln Öland oder Gotland oder sogar beide anzusehen. Aber wie das so ist, werden Pläne meist nicht erfüllt. Ich wollte mich jedenfalls plötzlich nicht mehr damit zufriedengeben, die ganze Zeit so weit im Süden zu bleiben, zumal der extrem warme Sommer mit Tagestemperaturen um die 30 Grad eine einmalige Chance versprach, auch weiter im Norden noch ein schönes Wetter vorzufinden.

So ging es dann am nächsten Tag für meine bescheidenen Verhältnisse mit 93 Kilometern etwas weiter voran als sonst. 200 km an einem Tag haben ich nämlich mit den Kindern nie geschafft, in diesem Sommer nicht einmal 100 km. Die 93 km waren aber teilweise darauf zurückzuführen, dass ich mich immer wieder auf kleine Umwege einließ, was mir etwa eine längere Pause bei einer romanischen Kirche in Västerplana und eine Begegnung mit anderen, vorher von mir überholten Radlern aus Deutschland, die auch dort eine Pause machten, ermöglichte. Die nächste Pause war irgendwo im Wald an einer Stelle, die sich vielleicht auch für eine Übernachtung angeboten hätte, wenn ich nicht so langsam Interesse an einem Zeltplatz mit einer Waschmaschine entwickelt hätte. Irgendwo vor Mariestad stießen wir endlich auf die E 3 (heute E 20), der ich vielleicht 20 km folgte, bis ich hinter Mariestad auf die N 64 (heute N 26) nach Norden abbog, um dem Ostufer des Vänersees zu folgen. Das war übrigens eine ganz schöne Strecke, auch wenn man bei weitem nicht dauernd das Ufer sehen konnte und wenn es überraschenderweise immer auf und ab ging, obwohl das Ufer selbst ja eigentlich ungefähr so flach wie die Wasseroberfläche des Sees sein sollte.

Einige Kilometer nördlich des Götakanals, der Göteborg über die beiden großen Seen mit der Ostküste verbindet, fanden ich einen niedlichen kleinen Zeltplatz, der übrigens so schön gelegen war, dass sich einige Leute anscheinend ganzjährig ihren Platz darauf reserviert hatten. Das ist eine Erscheinung, die ich in Skandinavien in dieser Form zum ersten Mal zu sehen bekam. Vielleicht war dem so, weil die dortigen Zeltplatzregeln diese Jahresmiete nicht gerade begünstigen und etwa Wohnwagen ohne Räder und Nummernschild oder ausgesprochene Zäune und ähnliche dauerhafte Einrichtungen, wie man sie auf Zeltplätzen in Deutschland oder in den Niederlanden schon einmal vorfindet, nicht dulden. Ein ganzes Jahr wollten ich mich dort zwar nicht aufhalten, aber zwei Nächte, zwei herrliche Sonnenuntergänge über dem See mit seinen vielen Inselchen und ein Badetag ohne Fahrradbenutzung wurden es dann doch einmal wieder.

Der nächste Tag führte mich auf der bewährten und von relativ wenigen Autos benutzten N 64 weiter nach Norden, wobei ich eine nette Pause an einem Hügelgrab machte. In Kristinehamn erlebte ich den ersten kurzen Regen, der mich aber kaum störte, weil ich mich zu der Zeit in einem überdachten Bereich bei einer Einkaufspause aufhielt. Als ich wieder weiterfahren wollten, war das Wetter wieder trocken, aber die E 18 war noch vom Regen ganz durchnässt. Zufällig war genau der Abschnitt dieser Straße, den ich benutzen wollten, frei von Fahrradverboten, so dass ich ohne Ordnungswidrigkeiten und ohne komplizierte Suche nach einer schlecht gekennzeichneten "Europastraße für Radfahrer" dorthin kam, wo ich den Vänersee erst einmal verlassen wollte. Von dort wollten ich dann wirklich etwas mehr nach Norden vordringen. Die N 240, die mir dabei zunächst nützlich sein sollte, erwies sich als fast autofrei. Vor allem war es an deren Anfang auch möglich, eine schöne Stelle im Wald zu finden, die meinem Fahrrad nebst Anhänger und vor allem meinem Zelt für eine Nacht Platz bot. Die Milch musste dann ausnahmsweise auf dem Esbitkocher erwärmt werden, ansonsten war das kein größeres Problem, weil ich kurz vorher bei einer Pause auf einer abgemähten Wiese in einem nahegelegenen Dorf die Wasservorräte wieder aufgefüllt hatte.

[weiter zum Teil 2]

[Inhaltsverzeichnis] [Ende]