Teil 5: Durch Südschweden bis nach Rügen
Nach diesem Ruhetag ging es bei zunächst schlechtem, aber immer besser werdendem Wetter weiter auf der N 50 nach Süden am Vätterseeufer entlang. Vom Ufer war nicht viel zu merken, eher von leicht hügeligem felsigem Gelände, das ziemlich bewaldet war. Um die Mittagszeit oder genaugenommen erst am frühen Nachmittag kam ich nach Motala, wo ich eine längere Pause auf einem Spielplatz einlegten. Dann ging es weiter nach Süden. Ich wollte weiter dem Ufer folgen und blieben so auf der N 50. Bald kam ich durch ein wirklich landwirtschaftlich genutztes Gebiet. In der Ferne tauchte auf der linken Seite ein riesiger See auf, der natürlich nicht ganz so groß wie der rechts liegende, weniger sichtbare Vättersee war, aber für seinen Vogelreichtum berühmt ist. Vor mir stellte sich eine im Vergleich zum eher hügeligen oder gar flachen Umland bedeutende Erhebung in den Weg. Merkwürdigerweise orientierte sich die Straße immer mehr nach links, fast parallel zu dem Omberg genannten Höhenzug und man hatte das Gefühl, sich vom Vättersee zu entfernen. Aber ich machte erst einmal bei einer schönen romanischen Kirche eine Abendbrotpause und fuhren dann am Omberg vorbei nach Ödeshög. Erstmalig wurde der Einsatz der Lichtanlage erforderlich, wobei ich den Anhänger zusätzlich zu seinen Reflektoren mit einem Leuchtdiodenrücklicht bestückte.
Von Ödeshög hatte ich nur sehr wenig, weil es bei der Ankunft schon sehr spät war und morgens wiederum die Weiterfahrt nach Süden angesagt war. Ich hatte wieder ein sehr schönes Wetter, als ich auf der jetzt mit der E 4 gebündelten N 50 weiter nach Süden fuhre. In Gränna unterbrach ich diese Fahrt für ein gutes Mittagessen und eine kleine Badepause im Vättersee. In Jönköping, das sich als Autostadt mehr oder weniger als Mannheim des Nordens entpuppte, war es ziemlich schwierig, einen Fahrradladen zu finden, um den vorderen Gepäckträger zu ersetzen, der leider an dem Tag gebrochen war. Zu meinem Glück gab es das Teil nicht und er wurde mit ein paar Drähten repariert und hielt danach gut durch. Ab da verließ ich den Vättersee und kam nach vielleicht einem Dutzend Kilometern in Lovsjö auf einen kleinen Zeltplatz mit Badesee. Für diese 12 km brauchte ich allerdings unverhältnismäßig lange, weil ich den Fehler machte, hierbei Ordnungswidrigkeiten zu meiden und die Nationalstraßen und Radwege, die die Funktion der E 4 für den Radverkehr erfüllen, zwar existierten, aber überhaupt keine Wegweiser, aber dafür umso mehr Ampeln aufwiesen.
Nach einem kurzen Bad am Morgen zum Aufwachen fuhr ich auf der E 4/N 30 und dann auf der N 30 auf Växjö zu. Die Gegend war jetzt wieder flacher, höchstens ein wenig hügelig. Schöne Wälder und Seen gab es und auch ein bisschen Regen und einige aggressive Autofahrer, die noch die Nähe von Jönköping erkennen ließen. Abends ergab es sich wieder, in Lammhult, wo ich die Bahnlinie von Stockholm nach Malmö querten, auf einen Zeltplatz zu gehen. Der war eigentlich nicht mehr besetzt und die Anmeldung erfolgte bei einem Schwimmbad. Von da ging ein winziges Sträßchen herunter zum Zeltplatz, wohin auch einige andere vorwiegend deutsche Reisende den Weg gefunden hatten. Das Wäschewaschen kostete nur eine Krone und das Trocknen war sogar umsonst, was ich vorsorglich noch einmal ausnutzte. Ansonsten konnte man in der Küche schön essen und sich mit den anderen Leuten unterhalten.
Der Zeltplatz lag ja irgendwie sehr viel tiefer als die Straße, wobei ich mir nicht die Mühe machte, sein Umfeld näher zu erkunden. Die Straße war so steil, also deutlich über 10 %, so dass ich das Fahrrad schieben musste, um mit dem Anhänger und dem Gepäck hochzukommen. Als es dann weniger steil aussah, trennte sich die rechte Kurbel beim Anfahren von den beiden Kettenblättern, so dass es nur noch Leerlauf gab. Reparatur war in dem Ort nicht so leicht zu haben, weil der einzige Fahrradhändler in diesem Monat grundsätzlich an Samstagen geschlossen hatte und auch nicht aufzutreiben war. Andere Werkstätten waren technisch nicht in der Lage, Aluminium zu schweißen. Die Züge hielten natürlich auch nicht in Lammhult, sondern erst in dem knapp 40 km weiter südlich gelegenen Alvesta, wo es auch den nächsten Fahrradhändler zu geben schien.
Ich überlegte mir, dass es nicht mehr möglich war, bis zum Montag und dann noch bis zum eventuellen Ende der Reparatur zu warten, ohne dann doch ein Stück mit dem Zug fahren zu müssen, weil das Urlaubsende näherrückte. So entschied ich mich, am Sonntag nach Trelleborg zu fahren, was nach den mitgenommenen Kursbuchseiten realistisch zu sein versprach, wenn man es schaffte, um 11:00 in Alvesta zu sein. So wurde das Fahrrad zum Laufrad umfunktioniert, indem der Sattel möglichst tief gelegt wurde und die Pedale entfernt wurden.
Da boten mir netterweise ältere Baltendeutsche, die in der Gegend ein Ferienhaus hatten und die von dort gerade zum Einkaufen in Lammhult waren, an, dass ich sie für ein paar Tage besuchen könnten und dann könnte man einmal weitersehen, was sich so machen ließe. Das war sehr nett, brachte mich aber nicht weiter. Wenn ich noch viel Zeit gehabt hätte, dann hätte ich am Montag eine Reparatur und danach eine Weiterfahrt eingeplant, aber die Zugfahrt wäre dann aus zeitlichen Gründen sowieso fällig geworden.
Also nahm ich erstmal nach einen kleinen Einkauf die ersten 10 km Strecke unter die Räder. In der Ebene war das Laufrad ein leichter Vorteil gegenüber dem normalen Gehen, bergab sowieso, aber bergauf ging das Schieben besser. Nach 1 1/2 Stunden machte ich eine Pause. Die nächste Pause kam nach weiteren 14 Kilometern und dann war ich schon auf 12 Kilometer an Alvesta herangekommen und es war noch eine gute Zeit am Nachmittag. Für den Rest des Weges fuhr ich das Laufrad weiter ich machte mir Hoffnungen, möglichst nah an Alvesta eine Stelle zum Wildzelten im Wald zu finden.
Wie das auf dieser Radtour so war, hatte ich Glück und fand tatsächlich zwischen der nördlichen Umgehungsstraße und dem Ortsrand eine schöne Stelle am Rande eines kleinen sumpfigen Feuchtgebietes. Da stand das Zelt für die eine Nacht ganz gut, wenn man von den paar Mücken, dem wackligen Boden und den etwas großzügigen Maßstäben bezüglich der Unsichtbarkeit gegenüber auf der Straße gehenden Fußgängern absieht. Am Morgen brach ich für meine Verhältnisse sehr früh auf und hatten etwa um 10 Uhr schon die letzten guten zwei Kilometer zum Bahnhof zurückgelegt. Die Stunde bis zur Abfahrt des Zuges konnte ich noch gut gebrauchen, um die Fahrkarten zu kaufen, das Gepäck von den Rädern zu nehmen, diese aufzugeben und herauszufinden, wo im Zug der Familienwagen ist. Das Gepäck verschwand möglichst weitgehend in dem jetzt als Kinderwagen fungierenden Anhänger, so dass den Kindern gar kein Platz mehr darin blieb. Im Zug wurde alles verstaut und der Anhänger zerlegt.
In Malmö hatte ich einige Stunden Aufenthalt und da wurde dann der Anhänger mit Handdeichsel als Kinderwagen genommen, als fast alles Gepäck im Schließfach war. Ich ging mit den Kindern eine kleine Runde durch die Altstadt, wo bei einer Baustelle der vorübergehend mit Zäunen von der Fahrbahn abgetrennte Bürgersteig noch von mir verbreitert werden musste, um überhaupt durchzukommen. Danach sah ich mir im Schloss noch ein Museum an, in dem es einen Haufen ausgestopfte Tiere gab. Vor allem gab es aber auch jede Menge lebendige Tiere, insbesondere Fische und Nachttiere aus den Tropen. Die Fledermäuse hatten es Bernhard sehr angetan, weil ich vor zwei Jahren auf einer langen Zugfahrt sein Schmusetuch zur Fledermaus erklärt hatte und ihn damit dann auch gut bei Laune gehalten hatte. Seitdem hießen diese Tücher Fledermäuse und waren ein beliebtes Geschenk von der Oma. Das Museum hat also auch besonders den Kindern viel Spaß gemacht. Dann gab es noch ein Seefahrtsmuseum mit einem Seeräuberschiff für die Kinder zum Spielen, aber das war ihnen nur noch für wenige Minuten gegönnt, weil dann geschlossen wurde und auch der Zug so langsam an die Reihe kam.
In Trelleborg waren natürlich die Fahrräder noch nicht da und ich musste erst einmal auf den Zeltplatz. So war ich diesmal unheimlich dekadent und nahm ein Taxi, das für die Mitnahme von Rollstuhlfahrern ausgelegt war. Da konnte dann der Anhänger mit allem Gepäck hereingerollt werden, um mit uns zusammen in einer einzigen Fuhre zum Zeltplatz gebracht zu werden. Mit den konventionellen Taxis wären es ja mindestens zwei, wenn nicht drei Fahrten geworden. Als Autotour hätten ich die Reise womöglich wegen des Gepäcks nicht machen können. Jedenfalls nicht mit jedem Auto.
Auf dem Zeltplatz freundete sich der Bernhard bald mit einem etwas älteren Jungen aus Berlin an. Da dauerte es nicht mehr lange, bis ich die Eltern auch traf und erfuhr, dass die auch mit dem Fahrrad unterwegs waren, wobei der Kleine allerdings schon selber fahren durfte. Sie hatten in der Gegend um Trelleborg eine kleine Tour mit Zelt gemacht und waren nun so mehr oder weniger in Wartestellung für die Rückreise mit dem Schiff.
Am nächsten Morgen ging ich zu Fuß zum Hafen und Bahnhof und erhielt tatsächlich die Fahrräder so funktionsfähig, wie man es unter den gegebenen Umständen erwarten konnte, zurück. Auf dem Weg dorthin hatte ein Fahrradhändler die Auskunft gegeben, dass er für 450 Kronen bis 16:00 eine Reparatur machen könnte. Aber mit dem Laufrad fand ich dann einen, der das bis 14:00 für 300 Kronen machen wollte. Nach der Mittagspause hatte ich dann verabredungsgemäß zwar nur noch 6 Gänge, aber es war schon ein tolles Gefühl, wieder richtig fahren zu können. Das musste ich natürlich sofort ausnutzen und ich fuhr nach Westen auf eine kleine Halbinsel am Meer, die ganz reizvoll war, insbesondere auch die Landschaft auf dem Weg dorthin. Nur waren es ungewohnt viele Autos, vielleicht so viele wie auf einer relativ stark befahrenen Nationalstraße in Deutschland, die alle dort in diese gut ausgebaute Sackgasse hineinfuhren. Die Pause machte ich dann am Strand, wo es herrliche kleine Dünen und dahinter eine eigenartige Feuchtlandschaft gab. In einem Yachthafen lagen auch ein paar Fischkutter und außerdem winzige Bötchen, die ich für den großen Yachten nachgebildete ferngesteuerte Modellboote hielt, die aber tatsächlich bei Benutzung nicht von nebenher schwimmenden, sondern von darin sitzenden Menschen begleitet wurden.
Abends war es einmal wieder dunkel. Kein Wunder, denn Trelleborg ist die südlichste Gemeinde in Schweden. Jahreszeit und Lage waren also schon sehr weit von dem, was die Mitternachtssonne ermöglicht, entfernt. Das merkt man ja auch, denn von der Landschaft fühlt man sich fast halb in Deutschland, halb in Dänemark, aber jedenfalls nicht in dem Land, das man weiter im Norden kennengelernt hatte. Sehr eindruckvoll waren natürlich die Palmen, die ich abends beim Durchfahren von Trelleborg auf dem Weg zu dem am anderen Ende der Stadt liegenden Zeltplatz am Straßenrand vorfand und die nachts sogar angestrahlt wurden.
Der schonische Dialekt ist auch ein wenig anders als sonst die Sprache in Schweden, fast möchte man meinen, sie verhalte sich zum Schwedischen wie das Dänische zum Norwegischen, aber andererseits ist das Schonische dafür dann doch noch im Gegensatz zum Dänischen zu gut verständlich gewesen, weil eben nur die Aussprache ein wenig anders ist.
Jedenfalls hatte mir die Reparatur des Fahrrades noch einmal ein sehr schöner Tag ermöglicht.
Der nächste Tag sollte uns drei wieder in unser Heimatland zurückführen. Es gab drei Fähren zur Auswahl, die nach Rostock, Sassnitz und Travemünde gefahren wären. Ohne lange zu überlegen wählte ich die Sassnitzer Fähre, um noch ein wenig von Rügen zu sehen und um für die geplante nächtliche Zugfahrt die längste Strecke zu haben. Die Berliner, die ich auf dem Zeltplatz getroffen hatte, waren auch an Bord und sie schafften es sogar noch, nach dem Verlassen des Schiffs in Sassnitz den Zug, der dort auch mitgefahren war, mitsamt Rädern zu besteigen.
Ich kaufte erstmal Fahrkarten und machte eine Reservierung für das Kleinkindabteil und fuhre dann an der Nordküste entlang. Abgesehen von den Ortsdurchfahrten, die oft so furchtbar schlecht gepflastert waren, dass man mit höchstens 2 km/h schieben konnte, war das sehr schön zu fahren, auch schön leer. Irgendwo gönnte ich mir in einem kleinen Küstenort ein Eischen und danach kame ich über eine Landzunge nach Altenkirchen zu einem Zeltplatz. Dort gab es sogar Thüringer Bratwurst zu kaufen. Deshalb konnte die auf deutschen Zeltplätzen nun einmal ziemlich grundsätzlich fehlende Küche verschmerzt werden, zumal ich in der Bratwurstbude auch die Milch für die Kinder aufgewärmt bekam. Als die Kinder schliefen, stiegen ich noch einmal an den ein paar Meter von unserem Zelt liegenden Dünen vorbei zum Strand hinunter. Da genoss ich die herrliche Sicht auf die See, in der sich der Vollmond spiegelte.
Von Altenkirchen versprach die auf dem Schiff erworbene Landkarte die Existenz eines Radwanderweges, den ich nach einer furchtbaren geschobenen Pflasterstrecke auch fand und von dem ich mir versprach, wenigstens einen anderen Ort zu umgehen. Irgendwo gab es den Radwanderweg dann nicht mehr in offensichtlicher, asphaltierter Form. Vielmehr war es nur ein Trampelpfad, der abgesehen von der schlechten Oberflächenqualität nicht einmal geometrisch das Befahren mit dem Anhänger ermöglicht hätte. Aber die Straße, mit der er bis dort gebündelt war, führte sowieso schon ziemlich direkt zu der Fähre Wittow.
Der nächste Ort hinter Wittow bot einen öffentlichen Baum, der voller Mirabellen war, wovon ich mir einen Vorrat pflückte und außerdem noch alle drei sofort soviel aßen, wie wir wollten. Die Straße wurde so langsam immer voller, je näher ich an Bergen herankam. Wahrscheinlich waren es nur höchstens halb so viele Autos pro Stunde wie auf dem Ausflug von Trelleborg aus, aber sicher weniger als halb so viel Straßenbreite. Jedenfalls überholte mich immer eine ganz schön lange Kolonne, wenn es einmal keinen Gegenverkehr gab. Weil der Gegenwind so stark war, beschloss ich, lieber Bergen etwas näher anzusehen, als wie ursprünglich geplant bis Binz zu fahren. Erstmal aßen wir das beste Hähnchen auf der ganzen Radtour und dann ging es auf den Berg, wo eine alte Kirche lag, die allerdings nur von außen zu sehen war. Früh genug waren ich dann auf dem Bahnhof und der Nachtzug nahm uns mit dem Fahrrad, dem Anhänger und allem Gepäck ohne Probleme mit. Die Fahrrad und der zerlegte Anhänger wurden noch im Gepäckwagen vertäut, was den Schaffner überzeugte, dass der Anhänger mit der Fahrradkarte meines Fahrrades bezahlt war.
Die Milch wärmte uns ein Schlafwagenschaffner auf, der wegen seiner eigenen Kinder genau wusste, welche Temperatur man da so bräuchte. In Rostock schliefen die Kinder schon und ich konnte bei dem dortigen etwas längeren Bahnhofshalt noch etwas Luft schnappen. Morgens kamen wir dann in Heidelberg an. Ich baute alles zusammen und fuhren zu meiner Wohnung. Ein normaler Arbeitstag begann danach.