Teil 3: Über die Berge nach Schweden zurück
In Trysil selbst sahen ich mir mit den Kindern an einem Ruhetag ein Freilichtmuseum an, wobei ich für einige Touristen, die kein Norwegisch verstanden, versuchte, irgendwelche dem eigentlichen Inhalt möglichst nahestehende deutsche Formulierungen zu erraten. Die Kinder verstanden ja auch kein Norwegisch, aber immerhin fragte Bernhard jetzt bei allen möglichen Dingen, wie die auf Norwegisch hießen, während ihn in Schweden die dortige Landessprache interessierte. Ulrich hielt sich mit dem Sprechen mehr zurück, da er ja auch alles, was er wollte, ohne Worte auszudrücken verstand. Wie dem auch sei, das Freilichtmuseum war sehr schön und man konnte sich direkt etwas besser vorstellen, wie die Leute dort einige Jahrhunderte früher so gelebt haben.
Am Nachmittag kam dann wieder etwas Regen auf, den die Kinder wieder im Anhänger verbringen durften, weil ich einen kleinen Ausflug auf der leeren N 26 nach Norden machte. Als das Wetter dann wieder besser wurde, machte ich eine Pause und brachten die beiden Kleinen dann wieder für den Rückweg in Sicherheit, als der Regen wieder anfangen wollte. Ich kam noch zu einer halbwegs brauchbaren Zeit zurück und konnte noch ein paar Lebensmittelvorräte einkaufen, wobei ich den Ehrgeiz entwickelten, mein norwegisches Geld möglichst vollständig bis auf die noch fällige Zeltplatzgebühr auszugeben. Eine Krone blieb auch nur übrig, die als Andenken noch zu gebrauchen ist.
Auf dem Zeltplatz trafe ich übrigens eine größere Reisegruppe aus Liechtenstein und der Schweiz, die sich über die Touristen ärgerten, die in ihrer Heimat ihr Auto volladen, in Norwegen beispielsweise eine Bootstour machen, bei der dauernd wild gezeltet wird, und die letztlich nur ihren Müll und ihre Abgase dalassen. Das stößt möglicherweise nicht auf die allergrößte Beliebtheit bei den Einheimischen und kann auch zu Nachteilen für diejenigen führen, die doch auch vor Ort noch gewisse Einkäufe durchführen. Radfahrer haben ja nach ein paar Tagen wohl doch die mitgeführten Vorräte aufgebraucht, wenn man von Autodach-MTBlern absieht, die ihr Fahrrad nicht als eigentliches Verkehrsmittel nutzen.
An dem Morgen, als es von Trysil wieder weitergehen sollte, hatte ich sehr schönes Wetter. Man konnte den Gipfel des westlich gelegenen Trysilfjells auf der anderen Seite des Flusses sehen, der deutlich über die Baumgrenze hinausragt und vielleicht eine Art Hochgebirgsausläufer darstellt. Dieser Berg wurde übrigens besonders früh für den alpinen Wintersport genutzt.
Aus dem Tal wollte ich nun ja auch heraus, aber in die andere Richtung, wo es nicht ganz so hoch zu sein schien. So fuhr ich also das kleine Stückchen vom Zeltplatz bis zu der Stelle kurz vor Nybergsund, wo die nach Osten aufsteigende N 25 zu finden ist und genossen die tolle Aussicht auf das ganze Tal, die sich bei der Auffahrt bot, die nun wirklich über fünf oder sechs Kilometer ziemlich steil war.
Die höher gelegene Gegend, in die ich dann kam, war landschaftlich wunderbar, vor allem bei dem herrlichen Wetter, das ich an dem Tag hatte. Die erste Pause machten ich an einem Seitenweg, wo es beliebig viele Blaubeeren zu pflücken gab. Es war gar nicht leicht, sich von der Stelle wieder loszureißen. Diese gesunde Ernährung führte trotz des warmen Wetters bei den Kindern zu blauen Mündern. In Trysil, dessen Gemeindegebiet bis zur schwedischen Grenze reicht, hatte man mir in der Touristeninformation noch einen Kanal empfohlen, der kurz vor der Grenze zu finden sein sollte und an dessen Restaurierung gearbeitet werde. Es war anscheinend so, dass früher in einem norwegischen Fluss Holz geflößt wurde. Das wurde an dieser Stelle aufgefangen und baumstammweise durch diesen Minikanal getreidelt und wurde dann nach nur 8 Kilometern in einen anderen Fluss gegeben, der dem Klarälven zufloss. Dadurch wurde die Forstwirtschaft in der Gegend vor etwa 100 Jahren überhaupt erst auf eine wirtschaftliche Grundlage gestellt, weil am Klarälven die zahlungsfähigen Holzkäufer saßen.
Die lange Auffahrt, die Blaubeerpause und die Kanalbesichtigung hatten letzlich so lange gedauert, dass ich bald hinter der schwedischen Grenze nach weniger als 50 Kilometern allmählich eine Stelle zum Übernachten suchte. Das wurde ein Art Terasse von einigen 100 Quadratmetern, die sich am Rande eines Tals befand und auf einem Waldweg erreichbar war. So einen schönen Blick auf die Berge hat man auch nicht bei jeder Zeltgelegenheit. Die Nacht wurde einigermaßen interessant. Zum einen gab es Nachtfrost, zum anderen war das eine oder andere Getier vor meinem Zelt unterwegs, was man hörte, aber auch an den durch das Auftreten entstehenden Erschütterungen spürte. Ich habe mich mit den Kindern darauf geeinigt, dass es ein Elch gewesen sein muss, der vor unserem Zelt geweidet hat. Gefährliche Tiere muss man jedenfalls dort nicht fürchten, weil die Bären sich eher für den Verzehr von Blaubeeren und Fischen interessieren und die Elche sowieso Pflanzenfresser sind und die Biber ohnehin zu klein sind, um einem nennenswerten Ärger zu bereiten. Der Nachtfrost war auch nicht weiter problematisch, nur musste ich unser Zelt etwas besser verschließen als sonst. Zu dritt produziert man dann doch eine Menge Wärme, was in einem angemessen kleinen Zelt mit guten Schlafsäcken die Sache gut erträglich macht, solange man nicht nachts 'raus muss. Einer von uns dreien muss ja den Nachtfrost bei einer solchen Gelegenheit bemerkt haben, sonst könnte ich davon nicht schreiben.
Am Morgen dauerte es typischerweise eine Weile, bis ich endlich aufbrach. Man konnte aber mit etwas gutem Willen meistens noch vom Vormittag reden. So war es wohl auch an dem Morgen, aber schon bald mündete die asphaltierte Nebenstraße, die auf schwedischer Seite die norwegische N 25 fortsetzt, auf die im Tal des Västerdalsälven verlaufende N 297. Der wollte ich wenige Kilometer nach Süden folgen, um dann auf einer Nebenstraße nach Osten zu fahren, von der mir in mehreren Touristeninformationen zugesichert worden war, dass sie asphaltiert sei. Andernfalls hätte ich den Weg über Trysil wohl gar nicht in Angriff genommen. Um es kurz zu sagen: Sie war natürlich nicht asphaltiert. Es stand also zur Wahl, 25 Kilometer zu schieben, zurückzufahren und einen Umweg nach Norden über Särna zur Umgehung dieser Straße zu verwenden oder an einen Umweg nach Süden zu denken. Das Schieben schied natürlich zuerst aus. Weil ich keine Lust hatte, die gerade mühsam überwundenen Hügel nochmal zu queren, schied auch die an sich vielleicht vielversprechendere nördliche Strecke schon sehr bald aus und es konnte wieder weitergehen. Ich hatte ja hier auch eine sehr schöne Straße unter meinen Rädern, die schöne Aussichten auf das gegenüberliegende westliche Flussufer bot.
Bald kam dann der Ort Sälen, der wohl auch für Pferdefreunde besonders interessant sein sollte. Ich verließ mich weiterhin lieber auf meine eigenen Kräfte als auf die Pferdestärken. Dort gab es auch Einkaufsmöglichkeiten und eine Touristeninformation. Vor allem erfuhr ich, dass die nächste Nebenstraße nach Osten, die ein paar Kilometer weiter südlich abzweigen sollte, nun aber garantiert asphaltiert wäre, was dann auch tatsächlich stimmte. Der Asphalt war zwar teilweise etwas schlecht in Schuss, aber wenn man in der Mitte der Fahrbahn, also dort, wo die weiße unterbrochene Linie ist, fuhr, dann ging es sehr gut. Leider riss nur am Anfang dieser Straße bei meinem Fahrrad eine Speiche. Eine zufällig vorbeifahrende Radfahrerin teilte mir mit, dass der nächste Fahrradladen in Älvdalen etwa 52 Kilometer weiter am anderen Ende selbiger Nebenstraße zu finden sei. So wurden die Nachbarspeichen entlastet und das Wrack ausgebaut und es ging mit 35 Speichen weiter. Dass diese Speiche bei einem Hinterrad mit Kettenschaltung auf der Zahnkranzseite war, braucht wohl nicht extra erwähnt zu werden, aber ich hatte sowieso keine Speichensammlung dabei.
Die Strecke war wieder sehr schön, mit vielen Seen, Mooren und auch wieder schönen Ausblicken von den Anhöhen. Irgendwo fand sich auch eine Stelle im Wald zum Übernachten. Am nächsten Morgen gab es neben der Straße eine Quelle mit sehr wohlschmeckendem Wasser. An dem Tag kam ich nach Älvdalen zum einzigen dortigen Fahrradgeschäft. Der dortige Mechaniker schien sich schon langsam auf seinen Ruhestand einzustellen und meinte, er hätte kein passendes Werkzeug für eine derart aufwendige Reparatur zur Verfügung, obwohl er zum Beispiel gerade einen Speichenschlüssel in der Hand hielt. Mit viel Überredung bot er dann an, am Abend des nächsten Tages damit fertig zu sein, aber letztlich hatte er kein besonderes geschäftliches Interesse an der Sache und schon gar kein Interesse für eine Fahrradtour, bei der ich gerne auch wieder weiterfahren wollten oder zumindest einen Ruhetag mit funktionierenden Fahrrädern einlegen wollten.
Aber das war sein gutes Recht und ich sah es als mein gutes Recht an, zur Konkurrenz zu fahren, die sich im 40 Kilometer weiter südöstlich gelegenen Mora nach einer Fahrt auf der hügeligen und kurvigen N 70 dann auch finden ließ. Dort bauten ich erstmal das Zelt auf und das Hinterrad aus. Dann machte ich mich auf die Suche nach einem Fahrradgeschäft, wobei ich zunächst die Touristeninformation fand. Davor war ein anderer Radler, der zufällig auch aus Deutschland kam und der zufällig auch eine Fahrradwerkstatt gebraucht hatte. Tatsächlich wurde die Sache kurz vor Ladenschluss auch noch in Angriff genommen und kurz nach Ladenschluss ging ich mit einem 36-speichigen zentrierten Hinterrad und einem um einen fairen Preis verminderten Geldbetrag in der Tasche aus dem Laden. Den Hinterradeinbau habe ich dann auch alleine geschafft.
Danach gönnten ich uns gleich zwei Ruhetage, die durch sehr wohlschmeckende Pfannkuchen kulinarisch angereichert wurden. Die Pfanne dazu lag in der Küche des Zeltplatzes herum. Eigentlich wollte ich mich ja mit einem Ruhetag begnügen, an dessen Nachmittag ich nach Orsa fuhr. Dort gab es eine sehr schöne kleine Schlucht zum Wandern. Da floss so ein kleiner Bach einige Dutzend Höhenmeter herunter und man konnte an dessen Ufern ein paar Kilometer weit wandern. Bernhard machte das trotz des recht schwierigen Weges ganz gut selber und Ulrich musste ich natürlich tragen. Oben kam man plötzlich bei einem winzigen aufgestauten See heraus, in dem man sogar baden konnte. Eine einheimische Dame benutzte ihn gar zum Haarewaschen, ich aber letztlich doch nur zum Rasten am Ufer. Danach folgten ich dem anderen Ufer des Bächleins wieder zu unserem Fahrrad zurück. Dabei überholte uns dann auf dem schmalen Trampelpfad auch ein MTB-Fahrer, der offenbar neben meinem Fahrrad sein Auto geparkt hatte. Weil es langsam spät wurde, musste ich leider sehr viele Beeren am Wegesrand ungegessen lassen. Eigentlich fährt man in Mora immer zum Bärenpark in Grönklitt, also noch etwas weiter als bis zu dieser Schlucht. Aber davon wusste ich 1994 leider noch nichts.
Nun hätte es am nächsten Tag am Südufer des Siljansees weitergehen sollen, aber irgendwie fanden ich dafür von der Südostecke des Sees keine so richtig überzeugende Fortsetzung nach Süden. Und wegen des erkennbar näherrückenden Urlaubsendes war Süden so langsam doch die angemessenste Fortsetzungsrichtung der Radtour. Dieses Südufer war mir etliche Tage davor auf irgendeinem Zeltplatz von jemandem, der aus der Gegend stammte, empfohlen worden, weil es viel schöner als das Nordufer sei und weil man da den See sehen könnte. Die Touristeninformation wusste zumindest die Empfehlung bezüglich Asphaltierungszustand zu bestätigen. Also gab es einen zweiten weniger ruhigen Ruhetag, an dem ich dieses Südufer in einem Tagesausflug besichtigte. Die erste Strecke war auch wirklich sehr schön, weil es über Brücken auf eine Insel ging und dann auch wieder herunter. Die zweite Brücke war lang und schmal und wies deshalb eine Richtungsampel auf, die mich aber nicht zu stören brauchte, weil ein Hinweis dabei war, der Radfahrer vom Halten freistellte. Inzwischen ist sie übrigens längst durch eine zweispurige Brücke ersetzt worden. Danach war die Strecke auch noch schön, aber vom See war erstmal vorübergehend nur wenig oder, um ehrlich zu sein, gar nichts zu sehen. Als so nach 30 Kilometern die Strecke gefahren war, nach der üblicherweise eine kleine Pause fällig geworden wäre, schoben ich das noch bis zur nächsten Badestelle auf. Die kam aber erst am Zielort der kleinen Tagestour in Siljansnäs, nach insgesamt gut 45 Kilometern. Die Kinder hatten teilweise geschlafen und waren teilweise auch interessierte Fahrgäste. Mir begegnete auf dieser Strecke sogar eine vierköpfige Familie, die anscheinend auf einem Tandem mit einem Anhänger desselben Typs, vorderem Kindersitz, und auch ziemlich viel Gepäck unterwegs war.
Die Pause nutzten ich nach einem kurzen Einkauf dann letztlich zum Baden im Siljansee und zum Essen, was alles zwar auch direkt am Zeltplatz möglich gewesen wäre, aber was nach einer so langen Fahrt natürlich viel mehr Spaß brachte. Den Aussichtsberg, der die eigentliche Attraktion von Siljansnäs darstellen sollte, schenkte ich mir dagegen. Auf dem Rückweg sparten ich mir die Insel und damit vielleicht knapp 5 Kilometer, wodurch dann immerhin genug Zeit für ein schönes warmes Abendbrot blieb. Das war auf dem Zeltplatz wieder sehr angenehm, weil man in der Küche (und bei dem zu der Zeit so guten Wetter vor allem auch davor) an Tischen essen konnte, was wiederum Gelegenheit zur Begegnung mit anderen Gästen bot. Auf diesem Zeltplatz waren zwar weniger Radler, als etwa in Trollhättan oder Trysil, aber dafür etliche Bahnreisende.