Teil 3
Von Trondheim fuhr ich am nächsten Tag weiter nach Norden. Es ging zunächst durch relativ dicht besiedeltes Gebiet, was man vielleicht nicht erwartet. Aber in der Gegend von Trondheim gibt es so etwas, was man in Norwegen Ebene nennt, unabhängig davon, daß man es in den Niederlanden als ein dem Himalayagebirge ähnliches Gebilde bezeichnen würde. Der "Trondheimfjord" ist auch kein echter Fjord mit steilen Ufern, sondern eher eine Bucht oder eine Förde, die mich auf den nächsten hundert Kilometern bis Steinkjer begleiten sollte. Aber das norwegische Wort für Förde ist nun einmal "Fjord" und weil die meisten norwegischen Förden irgendwo im Hochgebirge liegen, nennt man in unserer Sprache eben Förden im Hochgebirge Fjord. Es gab in dieser Ebene viel Getreideanbau (Gerste) und wenig Wald, so daß ich einmal wieder auf einem Zeltplatz an einem kleinen Flüßchen in Steinkjer übernachtete.
Etwas nördlich davon kam dann ein langgestreckter See (Snåsavatn) und die Felder hörten auf es ging dann zwischen Felsen und Wäldern hindurch und mit Blick auf die Berge in der Ferne. Von einer Talbrücke konnte man einen schönen Regenbogen sehen. Den kann ich jetzt auch beim Schreiben sehen, aber dafür mußte ich mich dann umso mehr beeilen, mein Regenzeug anzuziehen. Der Regen hörte sogar bald wieder auf, ich hatte sozusagen ziemliches Glück mit dem Wetter. Die E 6 wurde ab Grong so schmal, daß Lastwagen sich nur an Ausweichstellen begegnen konnten. Zum Glück gab es von den Lastwagen nicht so viele und diese Bustouren "Skandinavien in zwei Wochen" waren auch nicht zu viel unterwegs. Es ging dann in einem engen Gebirgstal (Namdalen) hoch. Irgendwo war das Tal breit genug für einen Zeltplatz direkt neben der Europastraße, wo ich ungestört durch Autolärm schlafen konnte, nachdem ich mich an das Rauschen des Flüßchens in dem Tal gewöhnt hatte. Wenn man noch weniger Autos haben will, kann man übrigens auch eine ziemlich lückenlose Parallelstraße (N 17) nehmen, die angeblich auch asphaltiert ist. Man muß nur ab und zu eine Fähre benutzen oder das Fahrrad über einen Berg tragen, wo Wege und Straßen eine Lücke haben. In dem Gemeinschaftsraum des Zeltplatzes wollten irgendwelche Norweger gleichzeitig einen Fernseher laufen lassen, Gitarre spielen und dazu singen. Als ich sie überredet hatte, den Fernseher abzuschalten, wurde es ganz nett.
Irgendwann brauchte ich da dann auch einmal Wasser und fragte bei Leuten, ob sie mir meine Flasche füllen könnten. Die Leute verwiesen mich auf den Wasserfall neben ihrem Haus, aus dem sie auch ihr Trinkwasser holten. Nachdem es nun in dem einen Flußtal lange Zeit so schön bergauf gegangen war, kam der Zeitpunkt, wo ich das Tal wechseln mußte. Dabei ging es dann so schön serpentierend herunter in das Tal. Da gab es dann wenigstens etwas zu sehen, weil da andauernd die Wohnmobile aus Süditalien, deren Fahrer in 2 Wochen zum Nordkap und zurück wollten, sich an die Felsen klebten. Das war vielleicht auch ganz gut so, denn die hätten nur den Anblick des Sees (Majavatn) gestört, der kurz danach kam, wenn sie es tatsächlich bis da geschafft hätten. Das war wirklich schön in diesem breiten Tal mit Mooren, Seen und Wasserfällen. Da ließ sich zum Glück auch eine etwas höher gelegenen Stelle mit guter Aussicht auf die schneebedeckten Berge an der anderen Seite des Tals zum Wildzelten finden. Leider hatte ich vergessen Skier mitzunehmen...
In Mosjøn mündete dieser Fluß dann ins Meer und es ging dann wieder ins Landesinnere. Es war richtig warm und zum Glück kam da auch ein schöner See zum Baden, der so warm war, daß nicht nur die Einheimischen die Wassertemperatur vertrugen. Wenn man beim Schwimmen schöne Berge und Wälder an den Ufern sehen kann, ist das wenigstens nicht so langweilig, wie im Schwimmbad 1000 Meter abzuhaken. Für 1000 Meter war es dann vielleicht doch etwas kalt... Aber so ist das, die Regentage vergißt man, aber die Sonnentage bleiben in Erinnerung. Vielleicht liegt das auch an den Erinnerungshilfsmitteln, die sich bei Regen so schlecht anfertigen lassen. Nördlich des Sees ging es dann zwischen Mooren und kleinen Seen auf eine Höhe (Korgenfjell, 550 m), wo die Bäume schon dünner wurden. Es gab nur Birken, die in größeren Abständen wuchsen und nur bis zu etwa drei Metern Größe kamen. Da oben gab es dann diese Campinghütten, die auf fast allen norwegischen Zeltplätzen zu finden sind und sie ließen mich dann zum Preis von 1000 Kronen pro Auto für eine Nacht dort bei den Hütten zelten, obwohl dieser "Zeltplatz" eigentlich nur für das Übernachten in Hütten vorgesehen war. Mein Zelt hatte ja eine Tarnfarbe, die da zwischen den verschiedenen Pflanzen nicht so auffiel. Allerdings behielt es seine Restauffälligkeit bei, weil der Boden oben zu trocken zum Einsinken war, obwohl etwas weiter unten noch überall das rote Moorwasser herausquoll.
Runter ging es dann wieder so steil und kurvig, daß auch die norditalienischen Wohnmobile ab da wegfielen oder spätestens unten mit ihrem Fahrzeug zusammen im Fjord baden gingen. Man sollte einmal darauf achten, daß Wohnmobile so konstruiert werden, daß sie das Wasser nicht zu sehr verschmutzen. Dann ging es neben einer der vielen alten Wikingerstraßen entlang bis Mo i Rana. Die Wikinger benutzten ja gerne Boote oder Schiffe, die sich schlecht über die Pässe tragen ließen, weshalb sie den Seeweg bevorzugten. Ich weiß nicht, ob man zu der Zeit so weit im Norden schon Getreide anbauen konnte, aber Fische dürfte es wohl damals schon gegeben haben. Sicherheitshalber entfernte ich mich aus dem Aktionsbereich dieser Drachenschiffe und fuhr im nächsten Tal ein Stück hoch, in der Hoffnung, daß solch ein Boot Wasserfälle nur abwärts fahren kann. Wie das so ist, wird man ja in irgendeinem Alter langsam dekadent und geht lieber zum Zeltplatz mit Infrastruktur und anderen Reisenden, anstatt wild zu zelten, und das auch schon nach gut 100 Kilometern. Es reichte wohl, um ein bestimmtes Auto über mehrere Tage regelmäßig zu überholen, wenn die Fahrer eine Pause machten, aber die echte Radtour hat jemand aus Braunschweig gemacht, den ich ein paar Jahre davor in Trondheim in der Jugendherberge traf und der so 250 km bis 350 km pro Tag fuhr, eben 24 Stunden am Tag und ab und zu auch noch ein Stück in der Nacht, um in vier Wochen zum Nordkap und zurück zu kommen. Dafür bin ich dann auch bergab so langsam gefahren, daß ich trotz der jeden Winter entstehenden geringfügigen Unebenheiten des Asphalts noch etwas von der Landschaft sehen konnte.
Am nächsten Tag war dann die Sensation des Jahrhunderts fällig. Es ging über die Baumgrenze und sah schon richtig wie eine Tundra aus. Da kam dann auch der Polarkreis. Das war sehr sehenswert, weil da gerade ein Touristenbus ankam und alle sich vor dem Stein, der den Polarkreis markiert, fotografieren ließen. Da brauchte ich dann wenigstens keinen Selbstauslöser, um mich dieser Unsitte anzuschließen. Das Leerkaufen des Souvenirladens konnte ich mir dann allerdings doch noch verkneifen. Aber kurz danach ging es dann wieder nach unten, es gab wieder Wald und sogar ein Getreidefeld. Das Tal hieß jetzt "Saltdalen" (Salztal). Logischerweise trug es diesen Namen ungefähr bis zu der Stelle, wo der Süßwasserfluß aufhörte und das Salzwasser anfing. Da gab es dann so eine von diesen Küstenstraßen, die man nach einem kurzen Blick auf die Karte für flach hält, die aber in Wirklichkeit durchaus am Hang etwas hoch und runter klettern. Kurz vor Fauske suchte ich mir dann einen schönen kleinen Zeltplatz...
In Fauske war dann in gewisser Hinsicht das Ende der Welt. Die Bahnlinie geht von dort nur noch zur Küste und es gibt nur noch die E 6 und das Meer als Verkehrswege. Aber es reizt einen ja immer, über das Ende der Welt hinauszufahren, vielleicht mit etwas Herzklopfen, aber frohen Mutes. Jetzt kamen massenweise Tunnels von ein bis zwei Kilometern Länge. So wurde ein Fjord, über den es nach meiner Karte eigentlich eine Fähre geben sollte, umfahren und die Gebühren für diese neue Straße waren (nur) für Radfahrer dadurch auf Null gesunken. Ein Tunnel war sogar fünf Kilometer lang, war aber schnell zu durchfahren, weil es bergab ging. Es stellte sich heraus, daß es hier in größeren Abständen sogar noch Dörfer und sogar einen Zeltplatz in Kråkmo gab, nachdem es über dutzende von Kilometern durch unbewohnte Felsenlandschaft gegangen war. Irgendein Lastwagenfahrer hatte arge Schwierigkeiten, auf einer starken Steigung anzufahren, nachdem er sich von mir die Information geholt hatte, daß ich nicht bei ihm mitfahren wollte. Dabei war ich keineswegs der einzige Radfahrer der in der Gegend eine längere Fahrt machte. Vielleicht der einzige, der nicht zum Nordkap fuhr?
Auf dem Weg zum Nordkap gab es vor zwanzig Jahren vielleicht fünf oder sechs Fähren, auf meiner Karte nur noch drei und in der von mir vorgefundenen Wirklichkeit nur noch zwei, davon eine zum Erreichen der Insel, an deren Nordende das Nordkap liegt. Alle anderen sind durch große Brücken oder Umfahrungen ersetzt worden, aber die eine Fähre über den Tysfjord gibt es wohl auch jetzt noch. So kam es, daß ich mich dort wieder einem Wasserfahrzeug anvertrauen mußte. Vielleicht 50 km vor Narvik fragte ich einen Bauern, ob er etwas dagegen hätte, wenn ich in der Nähe (100 m) seines Hauses irgendwo zwischen diesen niedrigen Birken wild zelte. Er hatte nichts dagegen und sein kleines Kind kam dann irgendwann vorbei und besichtigte mein Zelt von innen und außen. Aber Ihr könnt Euch denken, daß es all seine frisch gelernten Wörter, die wohl schon weit über meinen Wortschatz hinausgingen, verwendete und daß es sich überhaupt nicht vorstellen konnte, daß ein Erwachsener nicht alles versteht. Das war schon witzig, wie so ein kleines Kind Norwegisch spricht. Klingt viel schöner als bei erwachsenen Sprachanfängern. Inzwischen habe ich geheiratet und wir haben selber einen kleinen Sohn, den wir in dieselbe Gegend schleppten, als er 1 1/2 Jahre alt war, allerdings mit dem Zug und nicht mit dem Fahrrad. Das ist aber eine andere Geschichte...