Teil 1
In atemberaubendem Tempo konnte ich die Abstände zwischen meinen großen Radtouren verringern. Nachdem es eine sehr lange Pause gegeben hatte, und meine Kinder eigentlich ja noch gar keine größeren Radtouren gemacht hatten, ging es 1994, 1997, 1999 und 2000 richtig zur Sache. Dem aufmerksamen Beobachter wird nicht entgangen sein, daß sich die Abstände von 3, 2 und 1 Jahr immer schön verkürzt haben. Diese Reihe wird sich leider so nicht fortsetzen lassen, denn 0 Jahre und sogar -1 Jahr Abstand sind mit den üblichen Gepflogenheiten bei der Urlaubsgewährung in Arbeits- und Schulleben nicht mehr so gut vereinbar. Bleiben wir also einmal da, wo wir sind.
Das ist aber nicht räumlich gesprochen. Denn diesmal hatte ich die Schnauze von dem Göteborger Stadtverkehr doch einigermaßen voll und ich wollte auch eine etwas andere Gegend als das doch recht stark verMIVte Umland dieser schönen Hafenstadt kennenlernen. Andere Hafenstädte, wie z.B. Oslo oder Trelleborg erwiesen sich auch nicht als die passende Alternative und es entstand auch der Wunsch, richtig den Norden mit Mitternachtssonne und Polarlicht einmal zu sehen. Da fährt die Stena-Fähre aber nicht hin. Kein Problem, man kann es ja auch anders lösen.
- Doch anderes Reiseziel suchen
- Zug via Malmö
- Fähre nach Oslo und dann Zug
- Fähre nach Helsinki und dann Zug
- SAS
- Fahrräder mit Spedition schicken, selber mit dem Zug fahren
Bei dieser reichhaltigen Auswahl an Möglichkeiten entstand doch dann schon ein erheblicher Optimismus bezüglich der nebenbei ja vorgesehenen Fahrradmitnahme. Als es dann etwas ernster wurde, musste ich diese Möglichkeiten genauer unter die Lupe nehmen. Zum Beispiel war Möglichkeit 2 ja eigentlich der Favorit, aber da gab es dann doch den Nachteil, dass man die Fahrräder nach dem Transport auf dem Hinweg tatsächlich noch benutzen will und das auch noch kurz nach der Ankunft. Natürlich kann man keine Fahrräder von Deutschland oder von der Schweiz nach Schweden oder Norwegen aufgeben. Und natürlich kann man auch in diesen Ländern keine Fahrräder wie bei uns im Zug mitnehmen. Nein, man muss die Fahrräder mit Schiff und Zug nach über die Grenze bringen, dort aufgeben und dann am Zielort darauf warten. Oder man fährt am letzten Wochenende vor den Ferien kurz nach Malmö, um das zu erledigen.
Die Norweger haben zumindest den Ruf, dass dort die aufgegebenen Fahrräder auch manchmal ankommen und dass man eher nur wenige Tage darauf warten muss. Mit etwas Glück kann man gelegentlich sogar im selben Zug wie das Fahrrad reisen. Aber diese Variante zieht sich dann doch auch schon über vier Nächte, Schaffhausen - Kiel, Kiel - Oslo, Oslo - Trondheim und Trondheim - Mo i Rana oder so, mit Stadtbesichtigungen in Oslo und Trondheim. Und auch da sind die Fahrräder dann womöglich doch erst ein paar Tage später am Ziel, wenn man Pech hat. Mo i Rana ist natürlich schön, mit Svartisen, Grönligrottan und einigen anderen Sehenswürdigkeiten. Aber ich will natürlich die Ruhetage lieber in der Mitte und nicht am Anfang haben. Die Helsinki-Variante sieht doch ähnlich aus wie die Oslo-Variante, aber das könnte man auch einmal wieder überlegen.
Es war jedenfalls alles ein wenig frustrierend und besondere Lust auf eine Luftverladung hatte ich eigentlich auch nicht gerade. Aber irgendwie ging ich dann doch zu Variante 5. Die haben da bei SAS auch sofort irgendwas zusammengebucht, doch irgendwann wollten sie die Maße für das Tandem wissen. Und SAS-Zürich beschloss dann definitiv, dass das nun nicht ginge. Sie boten freundlicherweise an, die Buchung zu annullieren, worauf ich dann auch freundlich dankend einging.
Nun sah ich mich noch nach einer Spedition um, die die Fahrräder unabhängig von der Grenze und von den bei SJ üblichen Fahrradbeförderungen ans Ziel bringen könnte und ich wurde auch findig. Für ca. 1200 Mark kann man das haben, wenn man einen Zielort angeben kann, z.B. Zeltplatz oder so. Der Ankunftszeitpunkt musste natürlich ein bisschen offen bleiben, so +/- ein paar Tage oder so. Ich sahen mich bei Finnair um und konnte denen eine Buchung für den Hinweg nach Rovaniemi abringen. Die Leute von der Finnair machten mir auch die mündliche Zusage, daß das mit dem Tandem selbstverständlich kein Problem sei, denn sie hätten ja große Flugzeuge. Nach einer kleinen Überweisung kamen dann auch irgendwann die entsprechenden Kärtchen an. Die waren zwar für den Dienstag statt für den Samstag, aber dafür vielleicht wenigstens echt.
Mit dem Tandem und dem Gepäck lohnte es sich nicht so recht für das kurze Stück von Schaffhausen nach Zürich den Zug zu nehmen, zumal der geeigneteste Zug an jenem merkwürdigen Dienstag auch keine Fahrräder mitgenommen hätte, nicht einmal bei der ansonsten doch recht fahrradfreundlichen SBB. Also fuhren ich schon am Montag dorthin. Eine recht mühsame Sache war es noch, sich mit den Fahrrädern und dem Gepäck durch den Flughafen zu kämpfen. Welcher Aufzug ist schon groß genug für ein Tandem mit Anhänger? Und natürlich sagten sie mir dann gleich, dass ich mir das mit dem Tandem abschminken könne. Den Rest des Gepäcks würden sie aber schon "einchecken". Hätte ich mir das doch von Finnair schriftlich geholt... Mit etwas Überredung nahmen sie das Tandem dann doch an, aber ich sollte mir nicht zu große Hoffnungen machen, dass es tatsächlich am Zielort ankomme. Sowieso nicht gleichzeitig mit mir. Und vorher könnten sie es schon gar nicht fliegen lassen, da das Gepäck im selben Flugzeug zu reisen habe, wie der Passagier.
Am nächsten Morgen fuhren wir dann jeder mit einem kleinen Täschchen wieder dorthin und man nahm uns auch ohne Abstürze nach Helsinki mit, zum angeblich schönsten Flughafen der Welt. Da hatten ich ein paar Minuten Zeit, um Christina zu wickeln, die Fahrräder und das Gepäck durch den Zoll zu bringen und dann noch zu dem passenden Flughafenteil zu hecheln, als sie meinen Namen schon aufriefen und mich nach einer etwas beschleunigten Bombenkontrolle noch schnell an Bord nahmen. Der Flughafen in Rovaniemi hatte die Gepäckausgabe in einem kleinen Zelt. Da war natürlich kein Tandem und auch sonst nichts von meinem Gepäck zu finden. Man bot uns aber von Finnair an, das alles zu meinem Hotel zu bringen. Welches Hotel? Ich wollte ja eigentlich zum Zeltplatz, aber wann würde das Zelt ankommen? Also fand Finnair für uns ein Taxi, das groß genug war, um uns in die Stadt zu bringen, und man beschwatzte mich, doch in der Jugendherberge zu übernachten. Das sei bei fehlendem Zelt doch lustiger als der Zeltplatz. Kurz vor der Ankunft des nächsten Flugzeugs würden sie mich anrufen und auch gegebenenfalls von dort abholen lassen, um die Fahrräder zu holen. In der Nähe gab es auch einen schönen Spielplatz an einem Hang mit einer ganz langen Röhre als Rutschbahn. Meine Kinder lernten schnell die finnischen Worte, die man in die Röhre reinrief, wenn man unten war, damit das nächste Kind losrutschen konnte. Abends telefonierte ich kurz mit Finnair. Die Fahrräder waren tatsächlich da und nach etwas Pumpen sogar noch fahrfähig. Den Rest des Gepäcks ließ Finnair sogar noch ans Ziel in die Stadt bringen.
Natürlich gab es da recht großzügige Straßen und weil es so geil aussieht, war die Umgehungsstraße von Rovaniemi und auch so manche innerörtliche Straße vierspurig ausgebaut. Leider war auch alles ziemlich mit Radwegen verseucht, aber es bestand doch die begründete Hoffnung, daß dies ein sehr örtlich begrenztes Problem sei.
Am nächsten morgen fuhr ich dann auf der N 79 schnell aus der Stadt heraus und in Richtung Pello. Das Wetter war nicht schlecht und bald überquerte ich auch den Polarkreis. In dieser geheimnisvollen Gegend wohnt ja nach Einschätzung der Finnen der gute alte Weihnachtsmann, mindestens aber sein Rentiergespann. Direkt am Polarkreis, aber nicht an dieser Straße, sondern an der N 4, eher in der Nähe des Flughafens. So war ein recht unscheinbares Schildchen alles, was den berühmten Kreis an meiner Straße kennzeichnete. Nun war ich also im berühmten Land der Mitternachtssonne, aber doch noch etwas zu spät im Jahr oder etwas zu südlich, um davon etwas zu merken.
Eine witzige Einrichtung in Finnland ist der Teppichwaschplatz. Den hat angeblich fast jedes Dorf, aber diesmal war da noch eine schöne Badestelle und ein schöner Rastplatz, ideal für die Mittagspause. Irgendwann bog ich dann noch auf der N 83 nach Westen ab und ich fand am Abend dann auch eine schöne Stelle im Wald.
Der nächste Tag brachte mich am späten Nachmittag bis nach Schweden. Ich überquerte den Torneälv und kam auf die schwedische N 99 in Richtung Karesuando. Wenn es das gewesen wäre, hätte ich natürlich auch in Finnland auf der N 79 bleiben können, aber so ganz in den hohen Norden traute ich mich diesmal doch noch nicht. Das echte Abenteuer wird ja doch erst beginnen, wenn ich irgendwann einmal so die Gegend ansteuern werde, wo Russland und Norwegen oder wenigstens Finnland und Norwegen zusammenstoßen. Karesuando bleibt also ein magischer Ort für die Zukunft, jedenfalls was Schweden betrifft. Diesmal fuhren ich aber auch ein Stück in dieser Richtung und blieb dann eine Nacht auf einem kleinen Zeltplatz irgendwo zwischen Pello und Pajala. Man konnte da ja etwas kochen und ein bißchen zelten, aber die Badestelle im Törneälv war nicht so einfach zu verwenden, dass ich mich das mit den Kindern getraut hätte. Immerhin ging ich selbst schon ohne Hilfe durch Schwimmkräne oder Schlepper ins Wasser.
Pajala hatte eine schöne Kirche und gutes Essen zu bieten. Ich konnte ganz tollen Fisch kaufen. Außerdem erfuhr ich nebenbei, dass es hier in der Gegend etwas ganz besonderes gebe. Eine Bifurkation. Vom Törneälv zweigt der Tärendöälv ab und fließt zum Kalixälv. Die andere große Bifurkation, die es auf der Erde gibt, ist in Südamerika, wo sich Orinoco und Rio Negro teilen. Natürlich hat zum Beispiel der Selenter See in Schleswig-Holstein auch zwei Abflüsse, doch das ist natürlich kein so weltberühmtes Gewässer wie der Törneälv in Europa oder der Orinoco in Amerika. Aber erstmal hatte ich wirklich Mitternachtssonne zu erwarten. Es war noch nicht zu spät im Jahr und auch endlich nördlich genug. Und das Wetter war auch gut. Irgendwo ein Stück weg von der Straße fanden ich eine schöne Stelle, um mein Zelt aufzubauen. Dummerweise waren da richtig viele Mücken. Das war kein Wunder, denn ich war ja in einem riesigen Sumpfgebiet. Ein Viertel dieser Gegend ist Moor und der Rest hauptsächlich Wald. Aber zwischen den Bäumen sieht man überall Wasserlöcher, schon ein umgefallener Baum reicht aus, um einen Tümpel entstehen zu lassen. Anscheinend ist in dieser Gegend nicht das Nahrungsangebot, sondern das Wasserangebot der begrenzende Faktor. Wovon sollen in so einer dünn besiedelten Gegend so viele von den Plagegeistern leben? Die Kinder und ich zogen unsere Regenkleidung an, um weniger Stechmöglichkeiten zu bieten, aber dafür war das Wetter wieder zu gut. Irgendwie gelang es mir dann doch, die beiden Zelte aufzubauen und danach innen alle Mücken flach zu machen. Zwischen den beiden Schichten des Zeltes krabbelten zwar hunderte von Mücken herum, aber sie kamen nicht rein. Die ganze Nacht hatten ich wahrscheinlich strahlenden Sonnenschein, aber die Kinder und ich schliefen ja doch ein wenig und ich habe das nur gelegentlich kontrolliert.
Ab 2013 sollte die Straße von Pajala über Anttis und Vittangi nach Svappavaara von 90-Tonnen-Lastwagen befahren, die pro Jahr etwa 5 Millionen Tonnen Erz von einer Grube im Grenzgebiet zu Finnland nach Svappavaara transportieren sollen. Das Projekt begann tatsächlich und man hat die Straßen dafür um die Zeit totschick ausgebaut, aber letztlich ging die Grubenfirma nach kurzer Zeit pleite und der richtig große Lkw-Verkehr mit 90-Tonnern lässt heute (Stand 2020) noch auf sich warten.
Morgens war es mir zu blöd, die Mücken an unserer Frühstückspause teilhaben zu lassen. So fuhr ich mit den Kindern weiter bis nach Anttis, das so ungefähr unser nördlichster Punkt war. Da bogen ich nach Süden ab und fuhr ein paar Meilen dieselbe Straße wie ich 1987 von Kiruna nach Happaranda gefahren war. Diesmal war das Wetter aber viel besser und ich fand auch bald eine etwas weniger durch Mücken beeinträchtigte Stelle für das Frühstück. Mittags war ich in Tärendö, wo der schon erwähnte berühmte Tärendöälv in den Kalixälv fließt. Später bog dann meine Nationalstraße nach Gällivare rechts ab und ich kam gegen abend durch den Ort Ullita durch, der so von Mücken verseucht war, dass sie uns sogar während der Fahrt attackierten. Für das Zelt fanden ich dann einige Kilometer weiter eine Stelle irgendwo im Wald, die allerdings diesmal von der Straße aus sichtbar war.
Am nächsten Tag ging es dann bis Gällivare, wo ich mit den Kindern zwei Nächte auf dem Zeltplatz bleiben wollten. Das letzte Stück war auf der Erzstraße von Luleå nach Narvik, die in diesem Jahr gerade als E 10 (1987: N 98) bezeichnet wurde. Leider gab es da etwas mehr Verkehrsaufkommen, aber bisher konnten ich mich insgesamt nicht beklagen.