Mittwoch, 2001-08-01
Ein Frühstück bekommen wir zu dieser frühen Stunde (6.00 Uhr) noch nicht serviert. Wir dürfen aber die Kaffeemaschine benutzen und uns selbst bedienen. Nachdem wir den Kaffee getrunken haben, wollen wir hinaus gehen, und müssen feststellen, daß die Haustüre abgeschlossen ist. Das Schlüsselkästchen finde ich gleich, doch das quillt über vor Schlüsseln. Mist, der richtige Schlüssel ist leider nicht dabei. Aber wir wissen von einem anderen Ausgang an der Rückwand des Hauses. Zum Glück ist der nicht verschlossen und wir können endlich raus. Es ist zwar noch ganz schön kalt, aber der Tag beginnt sonnig. Und wenn die Sonne erst mal "über'n Berg" ist, wird's sicher wieder ein herrlich warmer Sommertag. Und wieder sitzen wir im Sattel. Bis jetzt wird's mir eigentlich nie zuviel. Täglich trage ich dieselbe Radlerhose und frage mich, wie lange das Sitzpolster in der Hose wohl noch dämmt ...? Blöderweise habe ich noch eine Ersatzradlerhose dabei, die ich ja doch nicht anziehe. Wir haben sowieso viel zu viel Gepäck dabei. Der Rucksack dürfte eigentlich nicht mehr als fünf Kilo wiegen. Ich dagegen schnalle mir jeden Morgen an die neun Kilo auf den Rücken.
Nachdem wir "S-Chanf" hinter uns gelassen haben steigt es gleich wieder an. Der Weg ist gut befahrbar und nicht zu steil, so daß wir durchweg fahren können. Wir radeln durch Wald. Rechter Hand rauscht ein Bach ins Tal. Dann führt der Weg weiter durch eine Alpenweide über den flachen Talboden, vorbei an vielen Kühen. Wir essen Müsliriegel und Bananen, denn nun wird der Pfad immer steiler und anstrengender. Schließlich ist der Weg mal wieder zu steil und steinig und ... wir schieben. Die Umgebung ist wunderschön. Wir sind alleine mit den Kühen, die aber mit zunehmender Höhe letztlich auch immer weniger werden. Mich begeistern die vielen knalligen Farben der kleinen Blumen, die in dieser doch recht kargen Felslandschaft richtig leuchten. Wie ein Fleckerlteppich überziehen sie die Steine. Nach einem zweistündigen, schweißtreibenden Anstieg stehen wir schließlich auf dem 2700 m hohen "Chaschauna-Paß". Ein Stein markiert die Grenze zwischen Schweiz und Italien. Ein tiefes Gefühl der Freude überkommt uns beide auf dem Paß in dieser wunderschönen Landschaft. Der Blick über "Livigno" hinweg bis zum Ortlermassiv ist überwältigend. Es ist total warm, hier auf 2700 m!, so ruhig und wahnsinnig schön. Eine Zeit lang genießen wir diese Stimmung und die herrliche Aussicht in die Ferne und ins Tal. Schließlich treibt's uns weiter, abwärts, hinunter nach Italien. Ein Stück schieben und heben wir die Räder über die steilen, steinigen Wege. Teilweise kann man aber auch fahren. Im Laufe der letzten Tage hatte ich ja genug Möglichkeiten Geschicklichkeitsfahren zu trainieren, und ich habe auch schon Fortschritte gemacht. Kurz unterhalb des Passes steht das bewirtschaftete Refugio "Casana". Zunächst sind wir die einzigen Gäste und genießen die Ruhe und die "bella vista". Es ist heiß, wenn der eisige Wind nachläßt, und wir sitzen an einem sonnigen Platz und essen Polenta mit Suppe. Die freundliche Wirtin spricht ausschließlich italienisch, aber wir verstehen uns trotzdem. Sie zeigt uns ihre neugeborenen, niedlichen Kätzchen. Später kommt noch eine vierköpfige Radlergruppe an. Da ist sogar mal wieder eine junge Frau dabei! Wir ziehen unsere Helme auf und ab geht die steinige Fahrt hinab ins Tal. Am Bach entlang und weiter nach "Livigno". Dort verbringen wir die nächsten drei Stunden, denn beide Räder müssen in die Werkstatt. Ro's Fahrrad bekommt hinten eine neue Felge verpaßt und mein Rad braucht einen kompletten Satz neuer Bremsen. Jetzt fühle ich mich wieder sicherer am Berg, obwohl ich inzwischen immer übermütiger werde ... Zudem lasse ich eine neue Flaschenhalterung anbringen, da die ursprüngliche Halterung abgebrochen ist. Die Wartezeit ist kurzweilig. Wir schlendern durch den sehr touristisch überfrachteten Ort, trinken Kaffee (im Schatten!!!), schreiben Ansichtskarten und genießen die kleine Zwangspause. Natürlich essen wir auch wieder. Hoffentlich übertragen sich diese üppigen Eßgewohnheiten nicht auf den Alltag zu Hause - ich würde kugelrund. Soviel kann ich dann gar nicht joggen, um dem gerecht zu werden. Hier aber haben wir ja täglich und den ganzen Tag anstrengende Belastungen, die den Körper fordern.
Um 16.00 Uhr sind die Räder fertig. Unser nächstes Ziel ist der 2285 m hohe "Passo Alpisella". Die meiste Strecke bis oben können wir fahren, d. h. immer ca. 4 km/h. Bei dem Tempo kann ich wenigstens die Landschaft um mich herum intensiver genießen. Und die ist so traumhaft. Wiesen, Wälder, Bäche, eingerahmt von grünen Hügeln und schneebedeckten Bergen. Ab und zu kommt uns ein Radler oder Wanderer entgegen. Sonst ist es recht einsam. Am Paß oben liegt ein kleiner See. Die Sonne "zaubert" kleine "Diamanten" aufs Wasser, die glitzern und funkeln. Ro macht eine Aufnahme, aber ich glaube, diese Schönheit läßt sich nicht einfangen. Die felsigen Gipfel auf beiden Seiten des Übergangs sind atemberaubend schön. Eine steinige Strecke führt jetzt hinab zu einem großen Stausee. Nachdem wir ihn umrundet haben, gelangen wir zu einem zweiten Stausee und erreichen gegen 18.30 Uhr das Refugio "Val Fraele". Die Wirtsleute sprechen deutsch und sind sehr freundlich. Wir bekommen ein Zweibettzimmer und können gleich duschen. Ah - ist das eine Wohltat, nach diesem anstrengenden, heißen Tag. Lange Zeit stehe ich nur unter der Dusche und genieße den warmen Wassersegen von oben.
Das Abendessen schmeckt hervorragend. Es gibt Spaghetti-Pesto (was sonst), Gemüse, Fleisch und Obst. Wir unterhalten uns mit Glenn und Vroni aus München, die auch mit ihren Rädern eine Alpentour machen. Allerdings haben die beiden eine andere Strecke als wir. Hier kreuzen sich unsere Wege nur.
Höhenmeter: | 1'600 m |
Strecke: | 40 km |
AVS: | 9 km/h |
Fahrzeit: | 4.23 h |